weinprobe
: Moderne Tradition & würzige Nervosität

2006 Silvaner Spätlese trocken, Iphöfer Kronsberg, Weingut Hans Wirsching

Zugegeben, der Bocksbeutel an sich sieht nicht gerade verlockend aus. Zumindest nicht für diejenigen, die in den 1970er-Jahren nicht die militant trockene deutsche Welle geritten sind, deren Dogma bis heute nachwirkt. Der Bocksbeutel war damals die Ikone der Dogmatiker, da er zunächst obligatorisch einen körperreichen und furztrockenen Frankenwein enthielt, der in erster Linie ein erdig-herber Silvaner war. In den 1980ern torpedierten die sonst so prinzipientreuen Franken dann ihr eigenes trockenes Versprechen mit lieblichen Plörren – und stürzten, wie die meisten deutschen Weine, in der Gunst der Weintrinker ikarusgleich ab. Seit der Jahrtausendwende aber erholen sich die Franken in rasantem Tempo, und das Weingut Wirsching zeigt wie kaum ein anderes, wie geschickt sich fränkische Tradition mit der nach Klarheit, animierender Frucht und belebender Frische lechzenden Moderne vereinen lässt. Die trocken ausgebaute Silvaner Spätlese aus der Iphöfer Lage Kronsberg ist dafür ein prächtiges Beispiel: brillant in der üppigen Frucht, saftig, cremig und gehaltvoll im reifen Geschmack, nachhaltig im Abgang und dennoch – irgendwie schlank, elegant und literweise bekömmlich. Auch wenn er weder so aussieht noch so klingt, aber dieser Wein ist einer der modernsten Traditionsweine.

Bezug: Karstadt; 5,49 Euro

2004 Ardosino, Weingut Breuer

Bis Träume wahr werden, wenn es denn gelingt, können Jahre vergehen, im Falle der beiden Winzer Bernd Philippi (vom Weingut Koehler-Rupprecht in Kallstadt/Pfalz) und des vor dreieinhalb Jahren verstorbenen Bernhard Breuer (Weingut Georg Breuer, Rüdesheim/Rheingau) gar ein Vierteljahrhundert. Im Mai des Jahres 2000 kauften die beiden in einem abgeschiedenen Seitental des Douro in Portugal die ruinöse Quinta da Carvalhosa mit 8,5 Hektar Weinbergen, die in steil ansteigenden, glühend heißen Schieferterrassen als roter „Gemischter Satz“ angelegt waren. Die knorrigen Reben der Sorten Touriga Nacional, Touriga Francesa, Tinta Roriz, Tinta Barocca und andere wurzeln in extrem steinigen Schieferverwitterungsböden, was den beiden hier erzeugten Rotweinen – dem kraftvollen Campo Ardosa und dem feinnervig-filigranen Zweitwein Ardosino – eine ausgeprägt salzig-mineralische Note verleiht. Zusammen mit der nervigen Säure prägt sie den nähmaschinengleichen Rhythmus der beiden seit 2001 auch von Werner Näkel (Weingut Meyer-Näkel, Dernau/Ahr) maßgeblich mit verantworteten Weine, während die erstaunlich frische und präzise Frucht von dunklen Beeren zusammen mit den feinduftigen floralen (Veilchen) und würzigen (Rauch, Gewürze) Nuancen das cool jazzige Melos bildet. Der konzentrierte und Größe ausstrahlende Erstwein, für den nur die allerbesten Fässer ausgewählt werden, benötigt vier bis fünf Jahre, bis er sich im Bestzustand zeigt. Früher zugänglich – und in seiner kraftvoll-feinen Art durchaus genial – ist der geradlinige Ardosino, der die Klasse des kleinen Château Latour besitzt. Der elegante 2004er duftet nach Veilchen und schwarzen Beeren, ist herb, würzig und nervös und schmeichelt dem Gaumen wie kühle Seide erhitzten Körpern.

Ausschank: Restaurant Sachs, Knesebeckstr. 29, 10623 Berlin-Charlottenburg. Bezug: Weingut Breuer, Tel. (0 67 22) 10 27; Preis: 15,15 Euro STEPHAN REINHARDT