„Meine Eltern haben mich ausgesucht“

Das Ehepaar Mersebeck hat drei Pflegekinder aufgenommen. Alle haben schwere Schicksale hinter sich, die Außenwelt begegnet ihnen oft mit Vorurteilen. Doch die Pflegeeltern geben ihnen ein liebevolles Zuhause

Die vierjährige Janina* ist ein süßes Mädchen. Sie hat blonde, lange Haare, blaue Augen, ist anhänglich. Erst beim zweiten Hinschauen fallen ihre kleinen Ohren auf. „Janina wurde als Alkoholikerin geboren“, sagt ihre Pflegemutter Frauke Mersebeck*. „Janinas leibliche Mutter hat während der Schwangerschaft viel getrunken“, erzählt sie, „das Kind war die ersten sechs Monate seines Lebens auf Entzug.“ Die Kleine ist mit ihren vier Jahren medizinisch gesehen trockene Alkoholikerin. Die Mersebecks wissen nicht, was mit Janina passiert, wenn sie in der Pubertät mal ein Bier probiert. Drei Kinder haben sie in Pflege genommen, und bei allen wissen sie, welche Probleme auf sie zukommen können.

Zuerst hatte das Ehepaar gedacht, es könnte keine Kinder bekommen, und sich als Pflegeeltern gemeldet. Dann kam Theresia*, das leibliche Kind, überraschenderweise doch – und kurz darauf die erste Pflegetochter: Natalie*, heute sieben. Einige Jahre später Janina und vor einem Monat Jeremy*.

Die Pflegemutter nimmt den Zweijährigen auf den Schoß. Seine Mutter ist Polin, vierzehn Jahre alt und lebt jetzt wieder in ihrer Heimat. „Wenn die Mutter nun Ansprüche an das Kind geltend macht, kann es sein, dass er nach Polen muss“, sagt die Pflegemutter. Mit Janina hat sie etwas Ähnliches bereits durchlebt. „Die Mutter wollte sie zurück, doch nach Überprüfungen hat sie eine Absage bekommen“, berichtet Mersebeck. Ein paar Mal sei dann ein weißes Auto vor ihrem Haus auf und ab gefahren. „Ich habe die ganze Zeit Angst gehabt, dass plötzlich eine Hand über den Gartenzaun greift und Janina mitnimmt.“ Nun trifft die Kleine ihre Mutter alle sechs Wochen, auch wenn sie nicht will: Biographiearbeit nennt sich das. „Aus deinem Bauch soll ich gekommen sein?“, fragte das Mädchen einmal, „das ist ja eklig“.

Die Mersebecks gehen offen damit um, dass sie die drei in Pflege genommen haben, und damit kommen die Kinder gut zurecht. Einmal sei Natalie gehänselt worden, erzählen die Pflegeeltern. Darauf habe sie erwidert: „Meine Eltern haben mich ausgesucht, deine mussten dich nehmen.“ Die meisten negativen Reaktionen aber kommen von Erwachsenen, was die Mersebecks nicht verstehen. „Die Leistung von Pflegeeltern“, sagt das Ehepaar, „wird viel zu wenig gewürdigt.“

Trotz des Unverständnisses, das der Familie manchmal entgegenschlägt: Hier haben die Kinder ein Zuhause, eine Oma, die mit ihnen Kastanien sammelt; Eltern, die sie in den Arm nehmen, Meerschweinchen und zwei Katzen. Etwas Besseres konnte diesen Kindern nicht passieren. STEFANIE HELBIG

*Namen geändert Pflegekinder vermitteln der „Pfiff“ in Hamburg (www.pfiff-hamburg.de) und die Pflegekinder in Bremen GmbH (www.pib-bremen.de).