Demonstrative Gesten

EUROKRISE Bundeskanzlerin Merkel und EU-Kommissions-präsident Barroso demonstrieren in Brüssel Stärke und Gelassenheit. Die Griechen geben ihrer Wut Ausdruck

Merkel und Barroso forderten die Slowakei auf, dem Rettungsschirm EFSF schleunigst zuzustimmen

AUS BRÜSSEL RUTH REICHSTEIN

So harmonisch vereint wie gestern bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz in Brüssel hat man Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Chef der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, selten gesehen. Er legte ihr vertraulich den Arm um die Schultern, als sie zusammen von der Bühne gingen. Und während der Pressekonferenz ergänzte Barroso Merkels Ausführungen zu möglichen Änderungen der EU-Verträge mit: „Dabei kann es nur um mehr Integration gehen. Ich denke, ich interpretiere die Ausführungen der Kanzlerin richtig. Und dies ist auch meine Meinung.“

Mitten in der Krise wollten die beiden vor allem eines: Stärke und Einigkeit beweisen. Schluss machen mit Gerüchten, Merkel sei die europäische Integration nicht mehr so wichtig. „Ich bin gekommen, um zu zeigen, dass Deutschland die Europäische Union stärken will. Wenn wir dafür Verträge ändern müssen, ist das kein Tabu“, sagte Merkel gleich zu Beginn ihrer Rede. Und Barroso bedankte sich brav für das Vertrauen der Bundesregierung und für ihre Unterstützung, was die Kommissionspläne zur Einführung einer Finanztransaktionsteuer angeht. Dafür will Bundeskanzlerin Merkel beim G-20-Treffen Anfang November werben. Außerdem schloss sie ein europäisches Programm zur Bankenkapitalisierung nicht aus. Schon auf dem EU-Gipfel in zwei Wochen könnte eine Entscheidung dazu fallen, sagte die Bundeskanzlerin.

Angela Merkel beharrte darauf, dass Italien seine Sparmaßnahmen umsetzen müsse, damit die internationalen Märkte wieder Vertrauen fassen. Die US-amerikanische Ratingagentur Moody’s hatte zuvor ihre Bewertung für italienische Staatsanleihen verschlechtert – von „Aa2“ auf „A2“. Es war bereits die zweite Herabstufung innerhalb weniger Wochen. Im September schon hatte Italien von der Agentur Standard & Poor’s schlechtere Noten für die Kreditwürdigkeit erhalten. Für Italien werde es immer schwieriger, sich zu refinanzieren, begründete Moody’s die Herabwertung. Die Märkte hätten kein Vertrauen mehr in die italienischen Sparanstrengungen, die nur schleppend anliefen. Italiens Staatsverschuldung war im Juli 2011 auf mehr als 1,9 Billionen Euro geklettert.

Merkel und Barroso wollten vor allem Gelassenheit demonstrieren. Dass der Internationale Währungsfonds (IWF) das Rettungspaket für Griechenland eventuell noch einmal überarbeiten will, brachte die deutsche Bundeskanzlerin nicht aus der Ruhe: „Wir warten ab, was die Troika über die griechischen Sparanstrengungen sagt, und werden dann entscheiden. Es gibt keine Notwendigkeit, alle fünf Tage neu zu diskutieren.“ Allerdings, räumte die Kanzlerin ein, müssten die Hilfszahlungen eventuell an die wirtschaftliche Lage Griechenlands angepasst werden.

Der Europa-Chef des IWF hatte kurz vor dem Treffen erklärt, dass seine Institution eventuell italienische und griechische Staatsanleihen kaufen und damit den EU-Rettungsschirm unterstützen könnte.

Aber ob der tatsächlich kommt, ist weiterhin unsicher. Merkel und Barroso forderten gestern die Slowakei auf, dem EFSF schleunigst zuzustimmen. In Bratislava steht – ähnlich wie zuvor in Berlin – die Koalitionsmehrheit auf der Kippe. Aber dort lehnt auch die Opposition das Rettungspaket ab. Das Parlament soll voraussichtlich nächsten Dienstag abstimmen.

Außerdem ist ungewiss, ob Griechenland die Vorgaben der Europäischen Union und des IWF für die nächste Kreditrate erfüllen wird. Heute machten die griechischen Beamten ihrer Wut über die Sparmaßnahmen Luft und legten weite Teile des Landes durch einen Streik lahm. Kein Flugzeug startete mehr in Athen, die Züge blieben in den Bahnhöfen. Auch Ministerien, Krankenhäuser und Schulen wurden bestreikt. Die Beamten demonstrierten gegen die Pläne der Regierung, nach und nach etwa 30.000 Staatsbedienstete zu entlassen.

Bis spätestens Mitte November müssen die Europäische Union und der IWF über die Hilfszahlungen an Griechenland entscheiden. Sonst geht dem Land das Geld aus. Bundeskanzlerin Merkel wiederholte gestern noch einmal, dass Griechenland ein „fester Bestandteil“ der Eurozone sei.