Mal jenseits des Cyberspace kämpfen

SPIELEN Es gibt sie: Zinnsoldaten. Sie sind Avantgarde, da sie nur mit Fantasie lebendig werden. In einem irischen Dorf stellt Lars Edman sie noch her

Bisweilen kommen Schulklassen in die Fabrik. Die Kinder dürfen die Figuren selbst gießen. Sie schütten eine Mischung aus Zinn, Blei und Antimon in die Gussform. Ist die Figur abgekühlt, können sie sie bemalen

AUS KILNAMARTYRA RALF SOTSCHECK

Es ist, als ob man ein Museum betritt mit historischen Dingen. Aber in der „Prinz August Toy Soldier Factory“ wird nicht Altes zur Schau gestellt, sondern Neues produziert: und zwar Zinnsoldaten. Gerade wurde eine neue Serie begonnen: der Siebenjährige Krieg 1756–1763. „Die Preußen sind schon fertig“, sagt Lars Edman, „als Nächstes kommen die Österreicher dran.“

Der 64-jährige Firmenbesitzer stammt aus Schweden. 1976 ist er nach Irland gekommen. „Ich hatte gerade in Stockholm geheiratet“, sagt er, „aber mein Vater verkaufte die Fabrik in Schweden, packte unser Hab und Gut und zog mit uns nach Irland.“

Der Vater hatte 1958 in Stockholm eine Spielzeugfabrik eröffnet – anfangs stellte er lediglich Modelleisenbahnen her. „Ich bin der Grund, dass er auf Zinnsoldaten umsattelte“, sagt Edman. „Ich interessierte mich schon als Kind dafür. Mit sieben habe ich alle Läden in Stockholm auf der Suche nach Zinnsoldaten abgeklappert.“

In Irland landete die Familie in Kilnamartyra, einem kleinen Dorf in der Grafschaft Cork im Süden der Insel. Es liegt in der Gaeltacht, einem Gebiet, wo Irisch Umgangssprache ist. Der Staat fördert dort die Sprache mit Steuererleichterungen und Zuschüssen beim Hausbau. „Das war aber nicht der Grund für die Ortswahl“, sagt Edman. „Die Zuschüsse sind so gering, dass es sich nicht mal lohnt, die Formblätter auszufüllen.“ Außerdem spricht er sowieso kein Irisch. Und bei seinem Englisch hört man noch immer einen leichten skandinavischen Akzent heraus.

Edman ist groß, er hat einen Bauchansatz und trägt einen Schnurrbart. Wenn er von seinen Zinnsoldaten erzählt, ist er wieder der Siebenjährige. „Man benötigt keine Batterien, man kann sie Freunden zeigen, und wenn sie einem nicht gefallen, kann man sie einschmelzen und etwas Neues daraus machen“, erzählt er begeistert. „Heutzutage muss alles schnell gehen, aber für Zinnsoldaten braucht man Geduld.“

Die Figuren werden im Rohzustand verkauft, die Kunden müssen sie selbst bemalen. Acrylfarbe nimmt man dafür. „Das können sie zu Hause machen oder hier im Laden“, sagt Edmund. Neben dem Tresen steht dafür ein langer Tisch mit Pinseln und Farben bereit. „Aber wenn man die Figuren historisch korrekt kolorieren will, muss man recherchieren. Wer weiß schon, dass Napoleons Soldaten rosafarbene Uniformen trugen?“

Zinnfiguren gab es schon im antiken Griechenland und im Römischen Reich. Die älteste Zinnfigur in Deutschland aus dem 13. Jahrhundert wurde in Magdeburg gefunden, im 16. Jahrhundert wurde Nürnberg zum Zentrum der Zinnfigurenherstellung. Joachim Ringelnatz und Hans-Christian Andersen haben ihnen literarische Denkmäler gesetzt, Donovan hat den „Little Tin Soldier“ besungen.

Das Computerzeitalter ist nicht spurlos an der „Prinz August Toy Soldier Factory“ vorübergegangen. „Es gibt nicht mehr viele Spielwarenläden, die Zinnsoldaten im Sortiment haben“, sagt Edman. „Und viele Hobbyläden haben längst dichtgemacht. Aber es gibt immer noch genügend Sammler, die bereit sind, für Zinnsoldaten Geld auszugeben.“ Billig ist dieses Hobby nicht, unter zehn Euro sind selbst einfache Figuren nicht zu haben. Manche werden nicht mehr neu aufgelegt und erzielen bei Auktionen gute Preise. „Eine Rangerin aus der Holy-Grail-Serie wurde neulich für 400 Pfund Sterling versteigert“, erzählt Edman. „Figuren mit leichten Fehlern sind ebenfalls sehr begehrt.“

Edman hat zwölf Angestellte, früher waren es fast doppelt so viele. Er richtet in der Fabrik Workshops und Geburtstagsfeiern aus, bisweilen kommen auch Schulklassen zu Besuch. Die Kinder dürfen die Figuren selbst gießen. Edman stellt die Gussformen aus Plastik zur Verfügung, die Kinder schütten eine Mischung aus Zinn, Blei und Antimon hinein. Nach wenigen Minuten ist die Figur abgekühlt und wird aus der Form gedrückt. Mit einer Feile werden Unebenheiten beseitigt, dann kann man die Figur bemalen. „Für Mädchen haben wir Feen als Gussformen“, sagt Edman.

Ein wichtiger Geschäftszweig für ihn sind die Figuren aus J. R. R. Tolkiens Büchern. Seit 1987 hat er die Rechte am „Hobbit“ und am „Herrn der Ringe“. Dafür hat er „Mithril“, ein Subunternehmen, gegründet. „Wir haben sehr viel über Kostüme geforscht“, sagt Edman, „um möglichst authentische Figuren zu schaffen und Tolkiens Vision der fremden und magischen Welt gerecht zu werden.“ Fanclubs schlagen neue Figuren vor, sie stimmen darüber ab, was als Nächstes produziert wird. „Leider besitzt Tolkiens Familie die Lizenz am Silmarillion“, sagt Edman, „und sie verlangt dafür viel Geld. Außerdem hasst Tolkiens Sohn Zinnfiguren.“

Um die Zukunft seiner Fabrik macht sich Edman trotz veränderter Zeiten keine Sorgen. „Als wir hier ankamen, gab es keine Heizung in dem Gebäude“, erzählt er. „was uns am meisten verblüffte, war das Telefonsystem. Man musste an einer Kurbel drehen, und nach einer Weile meldete sich eine Telefonistin. Wenn man in einem Land aufgewachsen ist, in dem automatische Telefone selbstverständlich waren, war das sehr frustrierend. Heute sind Handys eine Selbstverständlichkeit, aber die Zinnsoldaten sind geblieben, wie sie waren.“