Radikaler Avantgardist

POP Das Göttinger Literarische Zentrum freut sich auf den „König“ der Poptheorie, Diedrich Diederichsen. Dem allerdings ist machttrunkene Befehlsgewalt fremd. Stattdessen geht es um akribische Überzeugungsarbeit

Vollmundig kündigt das Göttinger Literarische Zentrum seinen Gast an. Als „seit drei Jahrzehnten regierenden Monarch im Reich der Poptheorie“. Diedrich Diederichsen – ein König? So, so. Das Lob ist gewiss freundlich gemeint, der königliche Vergleich darin allerdings grundfalsch. Statt mit machttrunkener Befehlsgewalt vermeintlich richtige Ideen kompromisslos in die Köpfe der Leser zu zimmern, sucht dieser bemerkenswerte Autor vor allem die produktive Auseinandersetzung, die besseren Argumente, die akribische Überzeugungsarbeit.

In den 1980ern war Diederichsen Redakteur und Mitherausgeber der Popkulturzeitschrift Spex. Unter seiner federführenden Einwirkung bekam das Wort Pop hierzulande plötzlich einen interessanten Klang. Weil da auf einmal jemand war, der in luziden Artikeln und Plattenkritiken den unterschiedlichen Prinzipien von Pop, seinen Chancen und Widersprüchen, seinen Wirkungsweisen auf das Alltagsleben nachspürte. Und dabei niemals die Musik im engeren Sinne zu analysieren vergaß.

Und so steht der Name Diederichsen bis heute für eine besonders durchdachte Spielart radikalen Popavantgardismus, der seinem linkspolitischen Selbstverständnis nach niemals anders konnte, als sich über das zumeist reichlich konservative Raunen im Feuilleton der so genannten bürgerlichen Presse lustig zu machen. Gerade bei Themen, die von Musik erzählten. Denn so viel ist klar: Nur von Musik kann nichts handeln; die Gesellschaft und ihre Politik sind ihr immanent.

In seinem Opus magnum „Über Pop-Musik“ aus dem vergangenen Jahr spitzt der Autor diese These noch einmal provokant zu: Im Pop, den Diederichsen als hochkomplexe, mehrfach kodierte soziale Praxis denkt, spiele Musik lediglich eine Nebenrolle. Das muss man nicht so sehen. Aber trefflich diskutieren kann man es allemal.

Am Dienstag spricht Diederichsen mit Gerhard Kaiser über die Schwierigkeiten, das vielgestaltige Phänomen Pop auf Begriffe zu bringen, über Initiationsmomente und Songs, die man lieben und/oder hassen muss.  MICHAEL SAAGER

■ Di, 27. 1., 20 Uhr, Literarisches Zentrum Göttingen