„Wir müssen cool bleiben“

ABGRENZUNG Robert Habeck, Chef der Grünen-Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein, über die Piraten und Mitmachpolitik, Wasserwerfer und Koalitionsmöglichkeiten

■ 42, ist seit der vorgezogenen Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2009 Vorsitzender der Landtagsfraktion der Grünen. Es wird erwartet, dass er nach der erneut vorgezogenen Landtagswahl im Mai 2012 Minister wird – in welcher Koalition auch immer. Zuvor war Habeck fünf Jahre lang Grünen-Parteichef im Norden. Habeck ist promovierter Germanist und hat mit seiner Frau Andrea Paluch mehrere Romane und andere Bücher geschrieben.

INTERVIEW ESTHER GEISSLINGER

taz: Herr Habeck, Sind Sie ein Fan der schwarz-gelben Landesregierung? Die SPD sagt, Sie leisten untauglichen Gesetzen Geburtshilfe. Wenn bei der CDU ein Abgeordneter fehlt, stimmt ein Grüner nicht mit. Wieso?

Robert Habeck: Wir stützen die Regierung nicht, wir treiben sie. Allerdings tun wir das, indem wir uns die Mühe der politischen Arbeit zumuten, statt den Diskurs zu verweigern. Wenn das der Vorschlag der SPD ist, entspricht das nicht unserem Stil. Ebenso ist es mit dem „Pairing“, also dem Verzicht auf eine Stimme, wenn bei der CDU jemand krank ist. Die SPD macht Pairing für die FDP, aber wegen alter Geschichten nicht für die CDU. Dass sie uns das vorhält, ist lächerlich. Wir wollen nicht, dass jemand im Krankenbett in den Plenarsaal geschoben wird.

Sehr ehrenwert, aber auch klug? Als sich der über eine Affäre gestürzte Christian von Boetticher krank meldete, wollten Sie der CDU zuerst helfen...

Das Pairing hat uns nur Scherereien gebracht. Das wirft ein zynisches Licht auf den Politikbetrieb. Man sagt, Schluss mit Nickligkeiten, und fängt sich genau die ein. Die CDU mosert, weil wir das Pairing nur bei Krankheit machen, die SPD sagt der taz, wir stützen die Regierung.

Laut Umfragen ist nach der Landtagswahl im Mai 2012 Rot-Grün wie auch Schwarz-Grün möglich. Wer wäre Ihnen als Partner lieber: Jost de Jager, CDU, oder Torsten Albig, SPD?

Beide sind okaye Gesprächspartner, und ich hoffe, dass sich durch den Personalwechsel die politische Kultur im Land ein bisschen beruhigt. Inhaltlich ist uns die SPD näher, aber nimmt man alle Aussagen der SPD zusammen, kommt man noch auf kein Wahlprogramm – ich bin gespannt, was sie vorlegen.

Energiewende und der Ausbau von Stromtrassen – eine Aufgabe für CDU und Grüne?

Eine Aufgabe für die Gesellschaft. Aber ein schwarz-grünes Projekt gibt es so wenig wie ein rot-grünes. Es gibt Themenfelder, auf denen sich ideologische Gräben geschlossen haben, Energiepolitik, Bildung, auch die Finanzpolitik nach der Schuldenbremse. Da streiten wir nicht mehr um Grundsätze, sondern um die beste Lösung. Wir wollen die Trassen in Bürgerhand geben, die CDU argumentiert eher als klassische Industriepartei.

Sie haben jüngst lauter Menschen in Uniform besucht – Polizei, Feuerwehr, Bundeswehr. Die Antrittsreise des künftigen Innenministers Habeck?

Das ist zurzeit mein Fluch: Besuche ich eine Schule, heißt es, ich wolle Bildungsminister werden – eine IHK, Wirtschaftsminister … Ziel der Reise war, sich der inneren Sicherheit als letztem Tabu der Grünen anzunähern. War spannend, vor einem Wasserwerfer zu stehen, ohne Angst zu haben, nass zu werden.

■ Kaum war das Ergebnis der Berliner Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 18. September bekannt, herrschte plötzlich Konsens in der Grünen-Spitze: Wer sich – wie die Berliner Spitzenkandidatin und Bundestagsfraktionschefin Renate Künast – eine Koalition mit der CDU offenhält, verliert Stammwähler. Flugs verkündete Künast: „Die Option Schwarz-Grün werden wir bei den nächsten Wahlen zumachen müssen.“ Dies wiederum stieß einigen Landes-Grünen auf, die sich seit 2005 um einen „Kurs der Eigenständigkeit“ bemühen und sich (wie bislang auch Künast) gegen „Ausschließeritis“ verwahren. Darunter: Robert Habeck aus Schleswig-Holstein. (uwi)

Die Piraten liegen in Schleswig-Holstein zurzeit bei 4 Prozent. Wie ernst nehmen Sie sie?

Die Piraten als reine Internetpartei abzutun, entspricht dem Fehler, den CDU und SPD bei den Grünen gemacht haben. Die Piraten spiegeln ein anderes Denken von gesellschaftlicher Wirklichkeit wider. Und sie führen vor, dass das politische System nicht mehr richtig funktioniert. Für uns ein Anlass, sich die Grundsatzfrage zu stellen, ob wir genug Abstand zum System Politik wahren. Und das ist sauschwer im Alltag zwischen Ausschüssen und Empfängen. Die Grünen müssen schlicht cool bleiben.

Führt der Trend zur Mitmachpolitik dazu, die Parlamente aufzulösen und Gesetze per Facebook zu diskutieren?

Es gibt Grenzen. Auch wenn bei der Internetdebatte über unseren Haushalt eine Mehrheit für den Ausbau der Autobahn A 20 ist, bleiben die Grünen dagegen. Coolness ist nicht Facebook oder Twitter. Cool meint, bei sich selbst zu bleiben.