Feld-Forschungen

COMMUNITY II Die Kooperative Dürnau bietet mehr als Mähen mit der Sense: Das jährliche Workcamp soll zur Dorfuni werden

Anthroposophische Elemente gehören zum undogmatischen Gedankenkosmos

VON ANSGAR WARNER

Von weitem sieht es hier aus wie überall in der ländlichen Umgebung: Dürnau ist ein 500-Seelen-Dorf mitten in Oberschwaben, umgeben von wogenden Maisfeldern, in der Mitte ein Kirchturm. Wer die Hauptstraße entlangläuft, wundert sich aber vielleicht schon über die vielen Schilder, die auf ortsansässige Handwerker verweisen. Noch mehr wohl über den Hinweis auf die „Kooperative Dürnau“. Eine alternative Landkommune im Niemandsland zwischen Biberach und Bad Schussenried?

In Dürnau gehört das schon seit dreißig Jahren zur Normalität. Denn schon Anfang der Achtziger Jahre zog es die Mitglieder der „Alternativen Kooperative Wuppertal“ aufs Land. Vielfältige Aktivitäten vom Flugblatt-Druck über den Vertrieb von Öko-Eiern bis hin zum Networking in Form eines Karteikasten-gestützten Infodienstes bedeuteten viel Stress: „Wenn man in Wuppertal in einer Mietwohnung wohnt, alle drei Minuten kommt ein Bus, die Scheiben zittern, es kommen 300 Besucher pro Jahr, dann ist das eine Belastung“, so Mitgründer Rolf Reisiger. „So haben wir uns entschlossen, irgendwo hinzugehen, wo es ein bisschen netter ist, wo man Platz hinter dem Haus hat, wo man eine Perspektive für die Arbeit findet.“

Alternative Landkommunen waren damals nicht unumstritten. Bei den urbanen Linken standen sie im Verdacht von Hippietum und Eskapismus. Die Landbevölkerung dachte eher an Gammler, Haschrebellen oder RAF-Sympathisanten. Solche Imageprobleme gab es in Dürnau allerdings nicht, erinnert sich Rolf Reisiger: „Wir sind hier schon mit einer betriebsfertigen Druckerei aufgetaucht und hatten auch schon Kunden. Das hat uns hier sehr geholfen. Da kam ein großer Lkw mit Maschinen und ein Kran zum Abladen. Wir waren ja richtige Arbeiter, da konnte sich jeder was drunter vorstellen.“

Der Lieferverkehr für die Druckerei sorgt auch heutzutage noch regelmäßig für ein kleines Verkehrschaos in Dürnau. Doch den Sommer über ist aber auch aus anderen Gründen viel los. Studentinnen und Studenten aus aller Welt nehmen Teil am jährlichen Workcamp – denn zu tun gibt es genug. Die Kooperative betreibt mittlerweile nicht nur eine Schreinerei und einen Onlinevertrieb, sondern bewirtschaftet auch einige Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche.

„Wenn man aufs Land zieht und nicht nur als Städter mit Kleingartenträumen, kann man ja gar nicht anders als an Landwirtschaft denken“, so Reisiger. „Allerdings wollten wir erst mal unsere Betriebe stabilisieren und Landwirtschaft erst viel später machen. Eines Tages wurde uns aber plötzlich ein ehemaliger Aussiedlerhof angeboten, eigene Quelle, vier Fischteiche, zwei Hektar Land.“

Mittlerweile ist nach weiteren Zukäufen mit sechs Hektar ein ganz ansehnliches Anwesen zusammengekommen. „Letzte Woche haben wir 200 Liter Saft von unseren Äpfeln pressen lassen, im Dorf stehen Bienenkästen. Wir haben Kühe und Schafe, dazu auch Gartenprodukte und verschiedene Sorten Brotgetreide.“ So, wie man sich kleinräumige Landwirtschaft eben vorstellt. Künftig sollen auch „ein paar Hühner und Schweine dazukommen“, sagt Rolf Reisiger.

Während rundherum großindustriell gewirtschaftet wird, geht es in der Kooperative eher beschaulich zu. Die Kühe werden mit der Hand gemolken, das Heu wird genauso wie das Getreide mit der Sense geerntet. Ein so selten gewordenes Schauspiel, dass sogar die Regionalzeitung darüber berichtet. „Durch das langsame Wachstum konnten wir bei Handarbeit bleiben“, so Reisiger. „Später kamen auch noch ökonomische Überlegungen hinzu. Wir müssen ja immer abwägen, inwieweit ist Maschineneinsatz eigentlich sinnvoll? Für uns ist das nicht rentabel.“ Trotzdem haben die Dürnauer überdurchschnittliche Ernten, und, was Reisiger besonders wichtig ist: Das Land ist in gutem Zustand.

„Wir machen das eigentlich, damit die Landschaft gepflegt wird. Ökonomisch gedacht ist es wahrscheinlich besser, im Ökosupermarkt einzukaufen und die Zeit lieber anderweitig zum Geldverdienen zu nutzen.“ Die eigentlichen Cashcows stehen in Dürnau nicht im Stall. Zum harten Kern der Kooperative gehört ein halbes Dutzend Leute, die alle ihre eigenen Qualifikationen einbringen.

Da ist etwa Jan Hinrichs, der für die Schreinerei zuständig ist. Zu den Produkten gehören neben Holzspielzeug auch Särge im modernen, polygonalen Design. Da ist Ulrike Reisiger, die den Vertrieb leitet. Das Spektrum reicht von Büchern aus dem zur Kooperative gehörenden Kleinverlag bis hin zu Kosmetika und Waschmitteln. Da ist aber auch etwa so jemand wie die Übersetzerin Agata Chmielewski, die während des sommerlichen Workcamps den Sprachunterricht für die Teilnehmer durchführt. Wie erfolgreich in Dürnau gewirtschaftet wird, zeigt sich bei einem Rundgang durch das Dorf. Mittlerweile gehört nicht nur die ehemalige Metzgerei zur Kooperative, sondern auch die ehemalige Dorfkneipe „Zum goldenen Kreuz“.

Hier soll demnächst das neueste Projekt der Kooperative entstehen: ein Tagungs- und Gästehaus für die „Dorfuniversität“. „Wir haben von den Studenten unseres Workcamps gelernt, dass es doch nachhaltige Probleme gibt mit dem heutigen Universitätsbetrieb“, so Reisiger. Man hat sich also Gedanken gemacht, wie es anders gehen könnte. „Es müsste doch da mal für einige Menschen eine Alternative angeboten werden, wo es nicht auf Scheine, Stunden und Punkte ankommt, sondern darauf, dass man etwas kann, nicht nur etwas weiß.“

Punkten wollen die Dürnauer aber nicht nur mit ruralen Campusaktivitäten wie sensen, melken oder imkern. Sondern auch mit geistigen Alternativen. „Es wäre doch schön, man könnte mal wieder Aristoteles lesen oder das, was Novalis über Wissenschaft gesagt hat in den ‚Lehrlingen zu Sais‘. Es wäre doch schön, man könnte mal einfach wieder eine andere Perspektive entwickeln.“

Zum Lehrplan der Dorfuni werden dann auch Texte von Rudolf Steiner gehören. Denn anthroposophische Elemente gehören seit längerem zum undogmatischen Gedankenkosmos der Dürnauer Kooperative. Vorher muss aber noch einiges Geld gesammelt werden, allein die Bausumme beträgt fast 2 Millionen Euro. Doch die Dürnauer sind geübte Netzwerker – und wollen zum Erreichen ihres Ziels jetzt auf „Crowdfunding“ setzen.