Von der Radspur zur Lieferzone

STEGLITZ Die Schlossstraße hat ein neues Verkehrskonzept, das funktioniert aber nicht: Weil Lieferzonen fehlen, werden die Radwege von den Lkws zugestellt – für Radler täglich eine gefährliche Hindernisfahrt

Stadträtin Barbara Loth will nach Lösungen im Radler-Lieferverkehr-Streit suchen

Die Steglitzer Schlossstraße ist seit dem Abschluss der Bauarbeiten im September ein Schmuckstück geworden. Zumindest auf Straßenniveau. Zwischen Walther-Schreiber-Platz und dem leer stehenden Bürohochhaus Steglitzer Kreisel wurden die Gehsteige neu gefasst, die Parkplätze daneben gepflastert und Fußgängerüberwege modernisiert. Statt auf zwei Fahrbahnen pro Richtung rollt der Autoverkehr jeweils nur noch einspurig. Auf der Straße wurde Raum geschaffen für eine breite Fahrradspur, und die Mitte der Schlossstraße teilt ein neuer Grünstreifen samt frischen Bäumchen. Alles bestens? Wohl kaum.

Seit der Fertigstellung der Straße fahren viele Verkehrsteilnehmer – und besonders die Radfahrer – mit einem extrem dicken Hals die Schlossstraße hinunter. Statt freier Fahrt findet auf ihrer Spur ein gefährlicher Hindernislauf statt. Weil für den Lieferverkehr entlang der Geschäfts- und Einkaufmeile die Parkmöglichkeiten fehlen, halten Lkws und Kleintransporter, Kastenwagen und Taxen tagtäglich auf dem Radweg.

„Der Fahrradweg wird zur Be- und Entladezone“, schimpft ein Radler. Jeden Morgen, kurz vor dem Beginn der Ladenöffnungszeiten bis zum Mittag, blockierten die Lieferfahrzeuge en masse die Spur. Ausweichmanöver hinüber auf den Autostreifen, „heikle Slalomfahrten“ müssten riskiert werden. Fastunfälle seien gang und gäbe. „Der Lieferverkehr macht die Radspur kaputt.“

Hinzu kommen verärgerte Autobesitzer, die am Straßenrand stehen und von den Lieferfahrzeuge zugeparkt werden. Am Nachmittag verstellten zwar weniger Fahrzeuge die Bahn, wirklich frei sei die Spur aber fast nie. Außerdem kreuzten Busse vor den Haltestellen die Radspur, so der Radler.

1,8 Millionen Euro hat sich der Bezirk nach langen Beratungen in der BVV Steglitz-Zehlendorf das Umbaukonzept von 2009 bis 2011 kosten lassen. Den Fehler inbegriffen. Herausgekommen sei ein bezirklicher Schildbürgerstreich, kritisieren Verkehrsexperten, da dem Individualverkehr – und damit den lokalen Geschäftsinteressen – viel zu viel Parkraum eingeräumt wurde.

„Das Problem sind diese Flächen, die dem Lieferverkehr fehlen“, sagt eine Bezirksgrüne. Diese hatten – obwohl sie das Konzept insgesamt mit der SPD und der FDP unterstützten – während der Planungsphase schon gefordert, wegen der vielen Parkhäuser die öffentlichen Parkplätze zu reduzieren. Barbara Loth (SPD), zuständige Stadträtin für Verkehr, räumt Handlungsbedarf in der Sache ein, die ihr Vorgänger im Amt – Exbaustadtrat Uwe Stäglin – wohl vornehmlich mit verbockt haben dürfte. „Ich kenne den Konflikt zwischen den Radfahrern und dem Lieferverkehr, täglich landen Briefe erboster Radler bei mir.“ Da müsse etwas getan werden.

Loth erinnerte daran, dass der Umbau und die Parkflächen Konsens im Bezirk waren. Für den Lieferverkehr seien auch eingeschränkte Zeiten festgelegt worden. Weil das nicht funktioniere, „muss nach Lösungen gesucht werden“. Wie die aussehen könnten, weiß sie noch nicht. Erst einmal plant Loth, die Geschäftsanrainer quasi an einen runden Tisch einzuladen. Das Problem müsse „gemeinsam bewerkstelligt werden“, sagte sie der taz.

Den runden Tisch bräuchte man auch für die parallele Lepsiusstraße, sagt eine Anwohnerin. Seit die Schlossstraße zum Nadelöhr wurde, haben Autofahrer diese zum Schleichweg auserkoren. ROLF LAUTENSCHLÄGER