Terror

Unter den wenigen, die nicht in Emotionen baden wollen, finden sich die KollegInnen der in Paris ermordeten Karikaturisten. Das neue Titelblatt von Charlie Hebdo zeigt die mittlerweile weltweit bekannte Mohammedfigur mit einer Träne und der Überschrift: „Alles ist vergeben“. Sie spielt mit der demonstrativen Betroffenheit der politischen Kaste, die sich geeint in Paris einfindet und sich beieinander unterhakt. Anschließend veröffentlichen Agenturen Bilder, die nahelegen, die Führungsriege hätte gemeinsam mit der Bevölkerung demonstriert. Doch die Aufnahme der Staatsleute wurde abseits aufgenommen. Die Karikatur spielt aber auch mit der Instrumentalisierung des Islam durch Terroristen, die behaupteten, den Propheten rächen zu wollen. Wenn der aber vergeben hat, in welchem Namen töten sie dann?

Auch in Deutschland gingen Zigtausende auf die Straße. Nicht nur die Rassisten, auch die anderen. Doch die Erleichterung wird von dem Mord an dem Eritreer Khaled Idris Bahray sofort zunichtegemacht.

In Dresden wird wöchentlich gegen Flüchtlinge mobilisiert. Man sollte meinen, das wäre der Polizei Anlass genug, bei möglichen rassistischen Taten sorgsam zu ermitteln. Die Dresdner Morgenpost berichtet anderes: 30 Stunden habe die Polizei mit der Spurensuche gewartet. Sie hatte an der blutüberströmten Leiche keine Messerstiche gefunden, die brachte erst die Obduktion zutage. Wozu also den Tatort untersuchen oder auch nur absperren? Die Mitbewohner sagen, die Polizei habe das Blut mit Wasser weggespritzt. Herauszufinden, ob das stimmt, dürfte niemanden überfordern.

Inzwischen räumt die Polizei Fehler ein. Auch das Operative Abwehrzentrum gegen Extremismus (OAZ) arbeitet nun an dem Fall. Volker Beck (Grüne) hat eine Klage wegen „möglicher Strafvereitelung im Amt“ eingereicht und damit öffentlichen Druck geschaffen, damit die Behörden endlich beginnen, ihre Arbeit zu machen. Nein, niemand weiß im Moment, wer Bahray ermordet hat. Man weiß nur, dass es der Dresdner Polizei bislang kein Anliegen war, das herausfinden. Darüber wird berichtet, doch es ist kein Skandal. Genau das ist ein Skandal.

Die Mobilisierung der Unzufriedenen in Dresden macht nicht nur der weißen, liberalen Mittelschicht Angst. Im Schatten der zähneklappernden Besserverdienenden haben Menschen Angst, die als Sündenbock für die zunehmende soziale Ungleichheit in Deutschland herhalten müssen. Die ihr Land verlassen mussten, keine weiße Haut haben und hier fast automatisch als Ausländer adressiert und abgewertet werden. Sie wissen um ihre Verletzlichkeit und darum, dass die Polizei keine verlässliche Schutzmacht ist. Das ist nicht erst seit dem Mord an Bahray ein offenes Geheimnis. Siehe NSU.

Und trotzdem fällt es uns Geschützten so schwer, den Unterschied zu erkennen und anzuerkennen. Doch wir Durchschnittsdeutsche sind kein vorrangiges Terrorziel. Das sind andere. Auch wenn Anschläge theoretisch jeden treffen können. De facto aber treffen sie regelmäßig Menschen in anderen Ländern. Etwa in Nigeria. Wie Luftaufnahmen zeigen, hat aktuell Boko Haram 3.700 Gebäude zerstört. Wie viele Menschen ermordet wurden, ist unklar. Womöglich Tausende.

Was an der hiesigen Betroffenheit so unheimlich ist, ist die fehlende Solidarität mit den tatsächlich Leidtragenden. Warum können auch wir Liberale kaum Schrecken empfinden, ohne uns selbst als nächstmögliches Opfer zu wähnen? Der Terror hat doch trotzdem mit uns zu tun, denn schon die Nachrichten von ihm machen etwas mit uns – sie zeigen uns, dass Demokratie, Teilhabe und persönliche Sicherheit verletzliche Privilegien sind. Umso mehr sollten wir uns freuen, dass wir sie genießen können – und uns nicht künstlich zu Premiumgebeutelten stilisieren. Dass wir die Nächsten sind, ist sehr unwahrscheinlich. Dass eine Person mit schwarzer Hautfarbe angriffen wird, passiert dagegen häufig.

Trotzdem kommen Journalisten nicht mehr um die Frage herum: Wie viele Terrornachrichten sind der Leserschaft zuzumuten? Ab wann schalten sie aus Selbstschutz ab – weil das mit der Freude, so naheliegend sie ist, nicht klappt?

Die Zeit reflektiert diese Sorge mit ihrem aktuellen Titel: „Wofür wir kämpfen müssen. Für einen anderen Islam. Für kluge Gesetze. Für wehrhafte Geheimdienste. […] Und für Liebe, Leben, Lachen.“ Das Zeit-Publikum muss für seinen Frohsinn kämpfen. Das ist schon lustig.

Die Kollegen aus der Onlineredaktion bemerken jedoch nichts von einer terrorinduzierten Verdrossenheit. Das Interesse an Texten zu den Anschlägen ist hoch. Vielleicht sind vor allem wir Journalisten überfordert – und nehmen uns zu wichtig?

INES KAPPERT