„Das bewirkt überhaupt nichts“

UN-Truppen sollen nach Darfur, EU-Truppen nach Tschad. Die internationalen militärischen Bemühungen um eine Lösung der Konflikte nehmen zu. Aber die vorliegenden Konzepte reichen nicht aus, so die Expertin Annette Weber

ANNETTE WEBER ist Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Naher Osten und Afrika in der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Sie forscht über Subsahara-Afrika und Kriege und Konflikte in Ostafrika. Von 1999 bis 2001 war sie Sudan- und Uganda-Expertin für amnesty international in London. Von 2003 bis 2006 war sie Koordinatorin des Ökumenischen Netzes Zentralafrika in Berlin.

taz: Frau Weber, wie sinnvoll ist der geplante EU-Militäreinsatz im Tschad?

Annette Weber: Mit diesem Mandat – nicht sehr. Denn das Mandat enthält weder die Sicherung der Grenze zwischen Tschad und Sudan noch den Schutz der Zivilbevölkerung. Wenn es nur darum geht, Vertriebenenlager mit Militärs zu besetzen, um humanitäre Hilfe hineinzulassen, die ohnehin schon hineinkommt – was soll dieser Einsatz?

Was könnte eine EU-Truppe realistischerweise tun?

Die EU-Truppe müsste die Grenze zwischen Tschad und Darfur sichern, weil von sudanesischer Seite aus Angriffe auf die Zivilbevölkerung im Tschad und auf Vertriebenenlager dort stattfinden. Die Grenze zu schützen würde zum einen bedeuten, dass aus Tschad heraus keine Waffen mehr an die Darfur-Rebellen geliefert werden – zum anderen, dass aus Darfur heraus keine Angriffe im Tschad mehr erfolgen. Das hätte eine beruhigende Wirkung auf die Region.

Und was noch?

Es gibt auch bewaffnete Gruppen im Tschad selbst, sowohl tschadischer als auch sudanesischer Herkunft, die im Tschad Angriffe auf Dörfer durchführen. Deswegen wäre ein Schutzmandat für die Bevölkerung notwendig. Damit dies funktioniert, müsste die EU-Truppe im Tschad mit der geplanten UN/AU-Mission in Darfur zusammenarbeiten. Auch logistisch: Die EU könnte in Darfur Truppen- und Wassertransporte für die Mission von UN und Afrikanischer Union (AU) übernehmen.

Warum sind die Europäer so zurückhaltend? Warum wollen sie lieber im Tschad alleine aktiv werden – und nicht die Darfur-Mission der UNO stärker unterstützen?

Die EU weiß, dass die „hybride Mission“ von UNO und AU in Darfur nicht einfach wird, weil Sudans Regierung in Khartum weiter große Vorbehalte dagegen hat. Vielleicht hält sich die EU zurück, weil Khartum gesagt hat, westliche Truppensteller würden als Invasoren gesehen und abgelehnt. Vielleicht hat es einfach mit der Politik zu tun, dass Afrikaner ihre Konflikte selbst regeln sollen. Aus dieser Logik heraus überlässt man es ja seit Jahren der AU, mit 7.000 Soldaten zivile Schutzverantwortung in Darfur wahrzunehmen, herzustellen – was die nicht können. Es gibt keinen ausreichenden politischen Willen auf europäischer Seite.

Deutschland will sich weder an der UN-Truppe in Darfur noch an der EU-Truppe im Tschad beteiligen. Ist es klug, sich herauszuhalten?

Es wäre klug gewesen, sich schon 2003, als der Darfur-Konflikt anfing, diplomatisch viel stärker einzubringen, auf die Regierungen Sudans und Tschads und auf die Darfur-Rebellen einzuwirken. Das wurde versäumt. Ob jetzt deutsche Truppen in die Region sollen, hängt von den Kapazitäten ab. Die Deutschen sollten auf jeden Fall logistische Unterstützung leisten, also Flugkapazitäten bereitstellen wie bei der bestehenden UN-Mission „Unmis“ im Südsudan. Es ist relativ sicher, dass das erweitert wird. Ob Deutschland sich aus Tschad heraushalten wird, müssen wir noch abwarten. Ich glaube nicht, dass sich Bundesaußenminister Steinmeier am 17. September, wenn der Beschluss der EU ansteht, dagegen stellen wird.

Wir reden von einem riesigen Gebiet, ohne markierte Grenzen und ohne funktionierende staatliche Autorität. Was können Militäreinsätze von außen dort bewirken?

Eigentlich überhaupt nichts, außer auf ganz kleiner lokaler Ebene. Ausländische Truppen können nicht flächendeckend schützen, sie können Leute nicht in ihren Dörfern vor Angriffen schützen. Sie können vielleicht die Grenze schützen und auch einzelne Vertriebenenlager, sowohl in Darfur als auch im Tschad. Es ist aber absolut illusorisch, zu glauben, dass durch den UN/AU-Einsatz der Krieg in Darfur beendet wird.

Wie begründet ist die Hoffnung auf neue Friedensgespräche in Darfur?

Es wird in den nächsten Monaten immer wieder neue Friedensgespräche geben. Die Frage ist, wie sinnvoll Gespräche sind, an denen nicht alle teilnehmen.

Gibt es ein Interesse an einer Beendigung des Konflikts bei Sudans Regierung, bei Darfurs Rebellen, bei Tschads Regierung oder bei Tschads Rebellen?

Ich sehe auf keiner Seite ein solches Interesse. Für alle ist es im Augenblick profitabel, mit dem Konflikt weiterzumachen und parallel dazu Angebote aufzugreifen, in verschiedenen Ländern Friedensverhandlungen durchzuführen. Die Darfur-Rebellen fragmentieren immer weiter, und alle hoffen, in ihren Kleinstformationen an der Macht in Khartum beteiligt zu werden. Khartum gewinnt dadurch Zeit und praktiziert die alte „Teile und herrsche“-Politik: Je mehr Splittergruppen, desto mehr bleibt der Darfur-Konflikt auf Darfur beschränkt und erreicht nicht den Zentralstaat.

INTERVIEW: DOMINIC JOHNSON