Keine Abfragen mehr bei Blockaden

BÜRGERRECHTE Die schwarz-gelbe Landesregierung von Sachsen fordert mit einem Antrag im Bundesrat einen besseren Schutz vor Handyüberwachung. Sie zieht an einem Strang mit den Grünen im Bundestag

FREIBURG []taz | Sachsen fordert Konsequenzen aus dem Dresdner Handyskandal. An diesem Freitag wird das Land einen Antrag in den Bundesrat einbringen, der die sogenannte Funkzellenabfrage neu regelt. Damit will Sachsens Justizminister Jürgen Martens (FDP) die Rechte unbeteiligter Bürger besser schützen.

Bei einer Funkzellenauswertung fragt die Polizei bei Telefonfirmen ab, wer in einem bestimmten Zeitraum innerhalb einer örtlich begrenzten Funkzelle sein Handy benutzte. So kann sie herausfinden, welche Telefone in der Nähe eines Tatorts benutzt wurden.

Die Dresdener Polizeidirektion hatte Mitte Februar nach einer Nazidemo versucht, 23 Angriffe auf Polizisten aufzuklären. Sie fragte nachträglich die Funkzellen für 14 Tatorte ab und erhielt dabei 138.000 Datensätze. Betroffen waren 65.000 verschiedene Handynummern, die in 460 Fällen namentlich zugeordnet wurden. Daneben erhob das sächsische Landeskriminalamt (LKA) ebenfalls Mitte Februar bei fünf nachträglichen Funkzellenabfragen weitere 900.000 Datensätze. Hier waren 258.000 Handynummern betroffen, die in 40.000 Fällen konkreten Personen zugeordnet wurden. Das LKA ermittelte gegen eine kriminelle Vereinigung aus der Antifa, die angeblich regelmäßig Rechtsextreme verprügele.

Die Dresdner Polizei nutzte am Ende auch die LKA-Daten, hatte dann also Verkehrsdaten über eine Million Handygespräche („wer telefonierte wann wo mit wem?“) zur Verfügung. Inhalte wurden dabei nicht erfasst. Die Aktion wurde bekannt, weil die Polizei die Daten auch in 45 Verfahren benutzte, bei denen es um illegale, aber friedliche Blockaden der Nazidemo ging. Ein Beschuldigter entdeckte einen Hinweis auf die Funkzellenabfrage in seinen Akten, die taz machte den Vorgang im Juni publik.

Der sächsische Datenschutzbeauftragte beanstandete sowohl die Maßnahmen der Dresdner Polizei als auch die des LKAs als unverhältnismäßig. Die Interessen der automatisch miterfassten Anwohner, Demonstranten, Gegendemonstranten, Journalisten, Anwälte und Parlamentarier seien nicht berücksichtigt worden. Die Funkzellenabfragen waren allerdings vorab vom Amtsgericht Dresden genehmigt worden.

Sachsen will nun vor allem an vier Punkten die Strafprozessordnung ändern. Erstens soll klarer geregelt werden, wann eine Funkzellenabfrage zulässig ist. Bisher stellt das Gesetz auf Taten „erheblicher Bedeutung“ ab, künftig soll es einen klaren Katalog von Straftaten geben. Eine Abfrage wäre dann etwa bei schweren Landfriedensbruch (mit Waffen) möglich, aber nicht zur Aufklärung der gewaltfreien Blockade einer anderen Demo. Zweitens sollen die Ermittler ihre Prüfung der Verhältnismäßigkeit besonders dokumentieren, damit dies nicht vergessen wird. Drittens sollen die einmal erhobenen Daten nur mit richterlicher Genehmigung in anderen Verfahren als Beweismittel verwendet werden dürfen. Dieser Richtervorbehalt ist neu. Viertens soll der Landesdatenschutzbeauftragte frühzeitig über alle Funkzellenabfragen informiert werden, damit er rechtzeitig intern protestieren kann.

Wie die anderen Bundesländer zum sächsischen Vorschlag stehen, wird sich nächste Woche zeigen, wenn der Rechtsausschuss des Bundesrats darüber verhandelt. Der Gesetzentwurf wird nur dann in den Bundestag eingebracht, wenn er in der Länderkammer eine Mehrheit findet. Die Grünen haben allerdings einen ähnlichen Gesetzentwurf erarbeitet, so dass der Bundestag auf jeden Fall über Konsequenzen aus dem Handyskandal entscheiden muss.

Halbherzig sind bei beiden Gesetzentwürfen die Regelungen zur Datenweitergabe. So bleibt die Nutzung der Daten zu präventiven Zwecken bei Polizei und Verfassungsschutz möglich und wird auch nicht vom vorgeschlagenen Richtervorbehalt erfasst. Ebenso können die angesammelten Daten von der Polizei als Ermittlungsansatz für Delikte jeder Art genutzt werden. Beschränkt (und per Richtervorbehalt gesichert) ist nur die Verwendung als Beweismittel im Strafprozess. CHRISTIAN RATH