Hamburg – eine Stadt zum Sterben

Der Politiker und Performance-Künstler Roger Kusch demonstriert eine Sterbehilfemaschine in einer Hamburger Seniorenresidenz. Mit dem Apparat will er aus der juristischen Grauzone kommen. Eine Tragikomödie aus dem Wahlkampf

Schön sauber ist alles um die Seniorenresidenz New Living Home, nahe Hagenbecks Tierpark: Nicht eine Zigarettenkippe liegt auf dem Weg zur Empfangshalle, die durch einen hübschen kleinen Grün- und Wasserstreifen führt. Zierliche Brücken erfreuen das Auge, und Parkbänke laden zur Rast. Die Trinker halten sich in der Nähe der U-Bahn-Station; hier ist der Mensch ein braver Bürger und darf es sein, ungestört.

Dazu, mag man denken, passen auch die zwei freundlichen Herren von der Polizei, die unbesorgt plaudernd vorm Eingang zur Residenz stehen. Sie sind hier zum Schutz einer Veranstaltung von Roger Kusch, früher Justizsenator, nun umtriebiger Vorsitzender seiner Mini-Partei Rechte Mitte HeimatHamburg: der einzigen Partei der rechten Mitte, wie er sagt, alle anderen in Hamburg seien links oder ultralinks. Auch die CDU, der er selbst früher angehörte.

Kusch hat in den Vortragssaal der Residenz zu einer öffentlichen Veranstaltung geladen. Das Thema: Sterbehilfe. Er möchte nicht nur reden, reden, reden, das würden die anderen Parteien schon genug machen, ohne dass etwas dabei herauskäme. Er möchte etwas vorstellen: Eine Sterbemaschine, einen Injektionsapparat, mit dem sich Hamburger Sterbewillige ganz legal und auf heimischen Boden selbst ins Jenseits befördern können, ohne, dass sie die beschwerliche Fahrt nach Zürich auf sich nehmen müssten.

Im Saal herrscht einige Spannung. Es wird über das Unglück genuschelt, dass Politik und Justiz ja leider so total getrennt sind in unserem Staat, die Informationsbroschüren von Kuschs Partei HeimatHamburg rascheln und manch einer fragt sich: ist das nun eine Informationsveranstaltung oder schon Wahlkampf? Die Ankündigungen ließen es teils offen, aber Kusch, nachdem er sein im schwarzen Anzug verborgenes Mikrofon justiert hat, gibt Antwort: Indem er alle Anwesenden zur Wahlveranstaltung begrüßt, und sich ganz herzlich beim Chef der Residenz bedankt, dass er an diesem perfekten, er betont: perfekten Ort sprechen darf. Wie diesen Ort, das kann man sich vorstellen, wünscht sich Kusch ganz Hamburg: Ein ziemlich entvölkertes Hamburg wäre es, denn nur wenige der zahlreichen Plätze sind besetzt, und ein recht altes Hamburg wäre es, dann das Durchschnittsalter im Saal liegt um die 70.

Was der Herr Kusch nun macht, ist ganz große Kunst: Kafkas „In der Strafkolonie“ mag Pate gestanden haben, vielleicht auch Kubricks früher Klassiker „Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben“. Kusch hat einige Dinge mitgebracht, und er holt sie wie ein Zauberer zwar nicht aus dem Zylinder, aber aus einem roten Rucksack hervor. Zuerst hält er eine Fünf-Milliliter-Spritze hoch, das reiche: So mache man es in den Niederlanden, wenn ein Mensch entscheidet, das Leben sei nicht mehr lebenswert.

Dann löst er eine Magnesiumtablette auf in einem Glas, aus dem er im Laufe der Veranstaltung wiederholt – mit Sokrates-Miene und kurzem Innehalten für etwaige Fotos – trinken wird: Die Mineral-Tablette symbolisiert Natrium-Pentobartial, den Schweizer Weg in den Freitod. Diesen Drink, so Kusch, kann er seinen Zuschauern aus dreierlei Gründen nicht anbieten: Erstens ist das Mittel nicht erlaubt in Deutschland. Zweitens löst es ein Koma aus, und deutsches Recht schreibt jedem Bürger vor, im Falle eines Komas sofort rettende Maßnahmen zu ergreifen. Drittens ist hierzulande jede ärztliche Hilfe zum Selbstmord standeswidrig.

Was tun? Kusch möchte, Zitat, „dass man in Hamburg nicht nur leben, sondern auch sterben kann“. Deshalb hat Dr. Kusch als findiger Jurist nach einem Weg gesucht, wie man beim Sterben helfen kann, ohne strafrechtliche Verfolgung fürchten zu müssen. Gefunden hat er einen kleinen, giftgrünen Kasten, eine Injektionsmaschine, die er seinen Zuschauern nun vorführen und „anbieten“ will. Während er eine Spritze aufzieht und an dem Apparat befestigt, macht er etwas Kabarett: Wollen sie wirklich sterben?, fragt der Arzt. Ja, wirklich, jetzt machen Sie endlich, sagt der Patient. Sind Sie sich sicher?, fragt der Arzt. Jaja, ich bin mir sicher. Die nötige Kanüle steckt Kusch sich bei aller Theatralik nicht in den Arm, wie es der Arzt beim sterbewilligen Patienten tun würde, sondern legt sie in ein Reagenzglas. Mutig nimmt er noch einen Schluck Magnesiumbrause, und verbindet dann den aus der Kanüle kommenden Schlauch mit der in die Maschine eingespannten Spritze. Nun, erläutert er, könne und müsse der Arzt oder Sterbehelfer den Patienten alleine lassen. Dem bliebe dann nur noch, einen Schalter zu bewegen, und die Maschine drückt die Spritze zusammen und dadurch ein in Deutschland zulässiges Gift, Kaliumchlorid etwa, in den Blutkreislauf. Es dauert etwas, bis das als Gift zu verstehende, blaugefärbte Wasser seinen Weg durch den Schlauch zurückgelegt hat und in das den Menschen symbolisierende Reagenzglas tropft: Exitus nach zehn oder zwanzig Minuten. Da der Sterbehelfer, genauer: der Sterbevorbereitungshelfer sich nach der Beratung entfernt haben würde, könne er nicht belangt werden.

Warum man den Patienten nicht auch mit einem Gifttrunk alleine lassen kann, bleibt etwas unklar. Kusch gesteht, dass Patienten, die nicht mehr in der Lage sind, einen Hebel zu bedienen oder einen Sterbewunsch überhaupt zu äußern, mit seiner Maschine nicht geholfen wäre. Auch sei die Maschine noch verbesserungsfähig: Eine Betäubung vor der Vergiftung etwa wäre wünschenswert, aber es sei ein erster Schritt.

Mittels dieser Maschine, so Kusch, sei der Freitod, wenn er denn nach intensiver Beratung als kleineres Übel dem Weiterleben vorgezogen würde, eine verträgliche Sache. Und nicht so schlimm und hässlich für die anderen, wie wenn sich etwa einer vor den Zug werfe. Genau!, murmelt das Publikum zustimmend, aber man fragt sich: will er nun Sterbehilfe für unheilbar Kranke und Leidende, oder fordert er sie gleich für alle, also für jeden, der einfach keine Lust mehr hat?

Was die Inanspruchnahme der Sterbehilfe betrifft, weiß Kusch mit einer Statistik aufzuwarten: Zwei Drittel der Deutschen, deren Sterbewunsch in der Schweiz „grünes Licht gegeben wird“, entschlössen sich dann doch fürs Weiterleben. Er kämpfe also für eine Freiheit, die nach Möglichkeit niemand in Anspruch nehmen solle. Kusch hofft, dass die Beratung, die mit einer institutionalisierten Sterbehilfe verbunden wäre, dazu führe, dass der Patient sich möglicherweise entscheide, doch noch einen Tag, und dann noch einen Tag länger ein „unerträgliches Leben zu ertragen“.

Hört man ihn so reden, könnte einen der Eindruck beschleichen, Kusch selbst sei manches schwer erträglich.

HANNES LEUSCHNER