Dem Depot entronnen

1943 retteten Mitarbeiter der Norddeutschen Affinerie zwölf Bronzefiguren aus dem Reichstag vor dem Schmelzofen. Nach Kriegsende befand man sie für kulturell wertlos, die Berliner verschlossen sie im Depot. Nun kehren sie zurück nach Hamburg

Eine illustre Gesellschaft, die sich da zusammenfindet: Ulfilas, Missionar der Westgoten, Roland, Markgraf der Bretagne und verewigt im Rolandslied, der Gelehrte Albertus Magnus, Reformator Martin Luther und acht weitere herausragende Gestalten des Mittelalters, in denen der junge Staat seine Wurzeln erkennen wollte. Gemeinsam umkränzten sie, in Bronze gegossen vom Berliner Bildhauer August Vogel, den Ringleuchter im großen Kuppelsaal des Reichstages zu dessen Eröffnung im Jahre 1894.

Es ist sicher ein Sinnbild für den Stellenwert der Kunst unter nationalsozialistischer Herrschaft, dass diese und andere Figuren aus ganz Deutschland 1943 eingeschmolzen werden sollten, um das Material der Rüstungsindustrie zuzuführen: Kanonen statt Kultur. Dazu wurden sie, wie andere Statuen und zahlreiche Kirchenglocken auch, nach Hamburg zur Norddeutschen Affinerie gebracht. Einige Mitarbeiter dort wollten der Einschmelzung von Kultur nicht zusehen: Sie vergruben Stücke, die ihnen wertvoll zu sein schienen, zum Beispiel zahlreiche historische Glocken, die beiden Löwen, die mittlerweile wieder vor der Kaiserpfalz in Goslar stehen und auch die zwölf Figuren aus dem Reichstag, um sie vor dem Schmelzofen zu bewahren.

Was die Berliner Bronzen betrifft, so scheint es sich um vergebliche Liebesmüh gehandelt zu haben: nach Ende des Krieges, als man sie wieder ausgrub, wollte sie niemand haben. Von der Kultur-Abteilung der britischen Militärregierung wurden sie als „kulturell wertlos“ eingestuft; später hielt die mit dem Wiederaufbau des Reichstags befasste Direktion eine Wiederherstellung des Leuchters für zu kostspielig und war der Ansicht, man könne seine Einzelteile nun doch getrost einschmelzen.

So blieben sie erst einmal in ihrem norddeutschen Exil. Erst 1982 reiste die damalige Vizepräsidentin des Bundestags, Annemarie Renger, nach Hamburg und nahm die Statuen wieder mit nach Hause, wo sie in den Gängen des Reichstagsgebäudes aufgestellt wurden. Es folgten einige schöne Jahre für die lang missachteten Zwölf, und die Geschichte könnte hier ihr glückliches Ende gefunden haben, wäre nicht 1995 mit dem Umbau des Reichstags begonnen worden.

Nach der Fertigstellung fand man, eher zeitgenössische Kunst bevorzugend, keinen Gefallen mehr an den Bronzekerlen aus der Jahrhundertwende, und lagerte sie in ein Magazin in Treptow aus. Dort mögen sie, womöglich unterirdisch wie damals schon im Hamburger Erdreich, Barbarossaträume geträumt oder wie die Prinzessin auf einen Ritter gewartet haben, der sie aus ihrer Versunkenheit befreit. Der Ritter kam im Sommer vergangenen Jahres aus Hamburg: Wieder war es die Norddeutsche Affinerie. Man wollte nicht einsehen, dass die unter Gefahr und Strapazen geretteten Figuren nun doch wieder jeglicher Öffentlichkeit entzogen wurden, und fragte an, ob sie nicht wieder nach Hamburg kommen könnten. Dort würde sich die Affinerie ihrer gern annehmen.

Der erneute Umzug, die Heimkehr ins Exil, wenn man so will, wurde bewilligt. Nun ist es so weit: Als Dauerleihgabe werden die zwölf Bronzestatuen künftig wieder auf dem Gelände der Norddeutschen Affinerie ihre Heimstatt haben, und es bleibt ihnen zu wünschen, dass sie nicht so bald wieder umziehen müssen: theoretisch nämlich kann Berlin sie zurückverlangen, für den Fall, dass man sich doch wieder klassischer ausstaffieren wollte im Reichstag.

Von dieser Woche an bis Ende September werden die Figuren im Rathaus einer breiten Öffentlichkeit präsentiert. Danach werden die Bronzebrüder den großen Veranstaltungssaal der Norddeutschen Affinerie beziehen, und dort für Gäste ein Stück verworrener Kulturgeschichte veranschaulichen, worin die gastgebende Affinerie eine recht rühmliche, beinahe rührende Rolle gespielt hat. HANNES LEUSCHNER

bis 30. September im Hamburger Rathaus