Nur das Zebra hat den Absprung geschafft

Die Uraufführung von Roland Schimmelpfennigs „Das Reich der Tiere“ am Deutschen Theater inszeniert die Niedrigkeiten des Alltags zu risikolos, um wirklich vom tagtäglichen Wahnsinn der Selbstentblößung zu berichten

Zum Auftakt der letzten Spielzeit unter der Intendanz von Bernd Wilms hat man sich am Deutschen Theater etwas sehr Passendes einfallen lassen. Roland Schimmelpfennigs neues Stück „Das Reich der Tiere“ erzählt über ein Ensemble, das seit Jahren Abend für Abend dieselbe Show zum Besten gibt: eine Fabel aus dem Leben der wilden Tiere. Das Nüsterngeblähe, Hufgescharre und die ewigen Kämpfe zwischen Zebra (Falk Rockstroh) und Löwe (Ernst Stötzner) sind für die Akteure so frustrierend wie körperlich zermürbend. Wirklich verzweifelt sind die Tier-Darsteller aber über die bevorstehende Absetzung des Stücks, die etliche Entlassungen zur Folge haben wird.

Nun will man das Deutsche Theater natürlich nicht mit einer abgehalfterten Ensuite-Bühne vergleichen. Schließlich ist der von Jürgen Gosch in bewährter körperlicher Exaltiertheit inszenierte Abend nicht nur eine Satire auf den Kulturbetrieb. Er ist auch eine Erzählung über uns allen bekannte Erniedrigungen und eigene Niedrigkeiten.

In dem ausganglosen, hellgrauen Guckkasten von Johannes Schütz, den man schon aus anderen Gosch-Abenden kennt, beginnt diese Nabelschau als reale Entblößung. Mit zelebrierter Langsamkeit legen Stötzner und Rockstroh ihre Kleidung ab und verteilen Schlamm der eine, klebrigen Sand der andere über ihre nackten Körper. Hier werden noch seufzend ein paar weiße Streifen aufgepinselt, dort wird gottergeben eine Wuschelperücke aufgesetzt: Zebra und Löwe sind fertig für die tägliche Mühle des Auftritts, den sie gemeinsam mit der Ginsterkatze (gelb vom Kopf bis zu den Füßen: Kathrin Wehlisch) und dem melancholischen Marabu (Wolfgang Michael in Honigglasur mit Federbesatz) in versammelter Nacktheit zu absolvieren haben. Nur Dörte Lyssewski findet anscheinend das ganze Regiekonzept dämlich. Deshalb spielt sie nicht in Ganzkörperschlacke, sondern in Kleidchen und gummierter Antilopenmaske.

Genauso wie alle anderen wird sie in den kommenden gut zweieinhalb Stunden abwechselnd ums bloße Überleben in der Steppe und – mit aller schauspielerischen Brillanz – um den letzten Rest von Würde in einem Theaterbetrieb kämpfen, in dem kein Darsteller mehr erkannt wird, wenn er sein Tierkostüm abgelegt hat.

Am Ende wird das alles wenig genützt haben. Auch wenn es erst noch jeder empört von sich weist, schließlich unterschreiben sie doch alle den Vertrag für das nächste Stück eines gelackten Jungregisseurs (Niklas Kohrt) und steigen noch eine Stufe weiter hinab auf der Skala einer von Existenznot diktierten Selbstentblödung. Als überdimensioniertes Spiegelei, als Pfeffermühle, Ketchupflasche und Toastbrot stehen sie, pappmachéverpackt, an der Rampe und lassen die Arme hängen. Nur das Zebra hat den Absprung geschafft. Nach einer durchzechten Nacht mit besagtem Jungregisseur sieht man sein Gesicht fortan für wenige Sekunden im Werbefernsehen. So oder so. Die Verdinglichung ist hier wie dort komplett geworden.

Das ist ein sozialkritischer Allgemeinplatz, dem wohl kaum einer widersprechen wird. Genauso aber wie Schimmelpfennigs Stück eine bruch- und lustlose Fingerübung zu diesem Allgemeinplatz ist, hat Gosch daraus eine lockere Reihung von Szenen werden lassen, die mehr von der eigenen Langeweile zeugt, als von dem Bedürfnis, wirklich etwas über die Gnadenlosigkeit der Verhältnisse sagen zu wollen. Es ist einfach eine tierische Mühe, das Theatermachen. Nacktsein allein ist da kein Allheilmittel. WIEBKE POROMBKA

Wieder am 9., 10. und 27. September