Unsportliche dritte Halbzeit

Zwei Belastungszeugen, ein Geständnis – und trotzdem ein Freispruch: Gericht lässt einen Fan des FC St. Pauli unbestraft, der bei Schlägerei mit Hooligans eine Flasche auf Polizisten geworfen haben soll

VON ELKE SPANNER

Das Spiel endete 2 : 2 unentschieden, doch das Ergebnis war irgendwann egal, zumal dem FC St. Pauli ein Punkt zum Aufstieg reichte. Jenseits des Stadions hatte sich die Auseinandersetzung von der sportlichen auf die politische Ebene verlagert. Die Fans des FC St. Pauli gelten als links, die von Dynamo Dresden als rechts. Es hagelte Steine, Flaschen, wüste Beschimpfungen. Auch Marius W. hob irgendwann eine Flasche zum Wurf.

Er habe sie in Richtung der Polizisten geworfen, die die Fangruppen voneinander trennen wollten, sagt die Staatsanwaltschaft. Er selber sagt, er habe auf einen Wasserwerfer gezielt, weil durch diesen Neonazis geschützt werden sollten. Die Richterin am Hamburger Amtsgericht bedauerte, das nicht mehr zweifelsfrei klären zu können. Sie sprach den 26-jährigen Anhänger des FC St. Pauli gestern vom Vorwurf der versuchten gefährlichen Körperverletzung frei: „Im Zweifel für den Angeklagten.“ Die Staatsanwaltschaft prüft nun, ob sie dagegen Rechtsmittel einlegen wird.

Die Stimmung zwischen den Fangruppen war schon vor dem Spiel am 25. Mai aufgeheizt. Nur wenige Wochen zuvor war in der Regionalliga Nord der Chemnitzer FC am Millerntor zu Gast gewesen, und mit der Mannschaft eine Gruppe rechter Hooligans. Schon im Stadion fühlten sich die Hamburger Fußballzuschauer provoziert: Chemnitz-Fans hätten Neonazi-Fahnen geschwenkt, hieß es. Als dann das Spiel gegen Dresden anstand, war die Vorfreude bei den Fans entsprechend gedämpft. Nicht nur sie, sondern auch die Polizei rechnete mit Ausschreitungen. „Das Fußballspiel war ein Risikospiel“, bestätigte gestern vor Gericht Oliver K., Polizeibeamter in der „Jugendschutzabteilung Fußball“. Weil „die linken und rechten Fans sich nicht mögen“, wie er sagte, versuchte die Polizei von vornherein, ein Zusammentreffen zu verhindern. Die Anhänger der jeweiligen Mannschaften wurden durch unterschiedliche Ausgänge aus dem Stadion geleitet.

Auf der Feldstraße, nur wenige Meter vom Stadion entfernt, trafen sie dann doch aufeinander. Dort nämlich hatten sich St. Pauli-Fans versammelt, die sich das Spiel nicht im Stadion, sondern andernorts auf Großleinwänden oder auch schlicht im Fernsehen angesehen hatten. Sie trafen sich nahe der U-Bahnstation, durch die die Dresdener Fans direkt den Stadtteil St. Pauli verlassen sollten. Die beiden Gruppen standen sich gegenüber, Chaos entstand. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein, um die rivalisierenden Gruppen zu trennen.

Auch Marius W. stand mitten im Gewühl. Er sei mit Freunden von der Reeperbahn gekommen, wo sie sich das Spiel auf einer Leinwand angesehen hätten, sagte er vor Gericht. Eher zufällig seien sie an der Feldstraße vorbeigekommen, als die Auseinandersetzung schon in vollem Gange war. Er sei wütend gewesen, als er den Wasserwerfer sah. „Er hatte sich sehr geärgert, dass die Polizei Nazifans vor den St. Pauli-Fans schützt“, führte sein Verteidiger weiter aus. Aus Ärger habe er deshalb die Plastikflasche, die er in der Hand hielt, in Richtung des Wasserwerfers geschleudert. „Heute bedauere ich meinen Wurf“, sagt Marius W. „Es ist vollkommen unangemessen, Polizeifahrzeuge zu bewerfen, auch wenn ich mit deren Einsatz nicht einverstanden bin.“

Zwei Polizisten, die den Studenten schließlich festnahmen, hatten eine andere Version zu Protokoll gegeben. Laut dieser hatte Marius W. nicht mit einer harmlosen Plastikflasche geworfen, sondern mit einer Halbliter-Bierflasche aus braunem Glas. Und sein Ziel sei nicht der Wasserwerfer gewesen, sondern die Polizisten, die versucht hatten, die jeweiligen Fangruppen abzudrängen.

Die Richterin befand, dass es in der Tat nach einer Schutzbehauptung klinge, wenn Marius W. nur eine Plastikflasche Richtung Fahrzeug geworfen haben will. Da beide Polizisten den Wurf der Flasche aber nicht eindeutig verfolgen konnten, sei seine Darstellung nicht eindeutig widerlegt. „Für eine Verurteilung reicht das nicht aus.“