Das Ende einer Jagd

FRANKREICH Die Terrorjagd ist beendet, die Attentäter sind tot. „Charlie Hebdo“ plant die nächste Ausgabe

Zurückgezogen und abgeschirmt tagt die „Charlie Hebdo“-Crew in einem kleinen Raum oben im Redaktionsgebäude von „Libération“

VON DORIS AKRAP
, SEBASTIAN ERB
UND SABINE SEIFERT

Nach 54 Stunden ist die Jagd nach den Attentätern beendet. Die von der Polizei für den Anschlag auf die Pariser Satirezeitung Charlie Hebdo verantwortlich gemachten Brüder Chérif und Saïd Kouachi sind tot. Sicherheitskräfte stürmten am frühen Freitagabend eine Druckerei nordöstlich von Paris, in denen sich die beiden verschanzt hatten.

Vergangenen Mittwoch hatten die Brüder die Redaktionskonferenz von Charlie Hebdo gestürmt und Zeichner, Redakteure und Freunde der Zeitung erschossen. Auch der Polizist, der für die Sicherheit des Chefredakteurs abgestellt war, und ein Rezeptionist sterben, erschossen von maskierten Männern mit schusssicheren Westen und Schnellfeuergewehren.

Einer der Ersten, der am Tatort ist, ist Patrick Pelloux. Er hat zwei Berufe, die an diesem Tag auf tragische Weise zusammenpassen. Im Hauptberuf ist er Notarzt und bei Charlie Hebdo schreibt er eine Kolumne über seinen Arbeitsalltag und Gesundheitspolitik.

Er ist gerade auf einem Termin nicht weit von dem Gebäude, in dem die Satirezeitschrift seit Juli ihre Räume hat, als ihn gegen halb zwölf ein Grafiker von Charlie Hebdo anruft. Er weiß, dass sie gerade ihre Redaktionssitzung abhalten, denn eigentlich sollte er auch dort sein. „Komm, wir brauchen dich, sie haben geschossen“, sagt der Grafiker. Pelloux hält es für einen Witz, geht aber sofort hin. Als er ankommt, sind einige seiner Kollegen bereits tot, andere versucht er zu retten. Als er die Szene später in einem TV-Interview schildert, erzählt er unter Tränen: „Es war schrecklich.“

Es ist ein Attentat, das Europa und die Welt erschüttert und dessen Folgen nicht abzusehen sind.

Zeugen sagen später, dass sich die Täter als Al-Quaida-Mitglieder oder sogar ausdrücklich als „al-Quaida im Jemen“ bezeichnet hätten. Die Täter sprechen französisch, auf Arabisch rufen sie: „Allahu akbar“ – Gott ist groß.

Die Polizei identifizierte die beiden Täter schnell als zwei Brüder, Franzosen, in Paris geboren, Kinder algerischer Einwanderer. Einer der beiden hat den Ermittlern zufolge seinen Personalausweis im ersten Fluchtauto verloren. Den Behörden sind beide seit Jahren als Dschihadisten bekannt. Chérif Kouachi, 32, wurde 2008 verurteilt, weil er in den Irak reisen wollte, um dort im „Heiligen Krieg“ zu kämpfen. Auch sein Bruder Saïd, 34, soll im Jemen in Trainingscamps von al-Qaida gewesen sein. Bislang gibt es keine eindeutigen Hinweise darauf, dass eine Organisation hinter dem Pariser Attentat steckt (siehe Seite 6).

Nicht einmal fünf Minuten hat das Massaker gedauert. Die beiden fahren mit dem schwarzen Citroën weg, mit dem sie wohl schon angekommen waren. Angeblich hat ein dritter Mann das Auto gefahren. Auf der Flucht schießen sie einem Polizisten in den Kopf. Am nordöstlichen Stadtrand wechseln sie das Fluchtauto. Zu der Zeit, in der die Solidaritätsbekundung #JeSuisCharlie von Frankreich aus in die ganze Welt verbreitet wird, beginnt eine Terroristenjagd, wie es sie in Europa seit Jahrzehnten nicht gegeben hat. In Frankreich gilt die höchste Terrorwarnstufe.

Es sind Bilder aus einem Krieg. Mehr als 88.000 Polizisten und Soldaten sind im Einsatz. Im Nordosten von Paris durchkämmen Donnerstagnacht Spezialeinheiten einen nahe gelegenen Wald und durchsuchen Häuser in der Stadt Longpont. Im Verlaufe des Freitags wird die Situation immer unübersichtlicher. An einer Straßensperre in der Nähe von Paris kommt es zu einer Schießerei. Nach einer Verfolgungsjagd auf der Nationalstraße 2 in der Nähe des Pariser Flughafens Charles de Gaulle werden zwei Landebahnen geschlossen. Die Attentäter verschanzen sich schließlich in einer Druckerei in Dammartin-en-Goële und bringen eine Geisel in ihre Gewalt. Eine Sprecherin der Stadt Dammartin-en-Goële bestätigt, dass die Polizei mit den Geiselnehmern in Kontakt stehe. Sie sollen gesagt haben, dass sie den Märtyrertod sterben wollen.

Unterdessen gibt der Innenminister bekannt, dass der Täter, der am Donnerstag im Süden von Paris eine Polizistin erschoss, identifiziert sei und die Tat im Zusammenhang mit dem Attentat auf Charlie Hebdo stehe. Es handelt sich um einen Mann namens Amédy Coulibaly.

Am östlichen Stadtrand von Paris kommt es am Mittag zu einer weiteren Schießerei mit Geiselnahme. In einem Geschäft für koschere Lebensmittel soll Coulibaly mindestens fünf Menschen in seine Gewalt gebracht haben, darunter ein Baby.

Möglicherweise ist Coulibaly der Komplize der beiden Brüder, der sie zum Redaktionsgebäude von Charlie Hebdo gefahren hat. Im selben Moment, in dem die Polizei die Druckerei stürmt, wird auch die Geiselnahme in dem koscheren Kaufhaus beendet, der Geiselnehmer sowie mindestens vier Geiseln werden erschossen.

Die Redaktion von Charlie Hebdo ist inzwischen bei der Tageszeitung Libération untergekommen – wie schon einmal 2011 nach einem Anschlag wegen der Mohammed-Karikaturen. Vor der Tür ein Polizeiaufgebot, seit Mittwoch schon, wer hier reinwill, muss sich ausweisen.

Die Redakteure und Karikaturisten haben sich entscheiden, am kommenden Mittwoch mit einer neuen Ausgabe ihren ermordeten Kollegen die Ehre zu erweisen und ihren Feinden zu trotzen. Sie soll mit einer Auflage von einer Million Exemplaren erscheinen und nicht mit 60.000 wie sonst.

Freitagmittag, die Charlie-Redaktion trifft sich zu ihrer ersten Konferenz seit dem Anschlag, es ist die Konferenz der Überlebenden. Auch der Zeichner Willem gehört dazu, der am Freitag in der Libération eine Karikatur veröffentlicht hat: ein großer, schwarz gekleideter Mann ist darauf zu sehen mit einem Maschinengewehr in der Hand, vor ihm steht ein kleines Männchen mit Block und Stift und ruft: „Charlie Akbar!“ Über dem Schwarzgekleideten sind ein Ausrufungs- und ein Fragezeichen zu sehen.

Zurückgezogen und abgeschirmt tagt die Crew in einem kleinen Raum oben im Redaktionsgebäude von Libération, das in einem ehemaligen Parkhaus untergebracht ist und deswegen Großraumbüros und langsam sich nach oben schlängelnde Flure hat.

Unten versammelt sich in der Zwischenzeit die Weltpresse, in der Hoffnung auf ein Statement einzelner Redakteure. Eine Pressekonferenz ist für 12 Uhr angekündigt. Stattdessen tritt dann noch einmal Libération-Chefredakteur Laurent Joffrin vor die Presse und bittet um Geduld, um Verständnis, alles Tugenden, die Journalisten per se selten besitzen. Die Enttäuschung ist groß. Immerhin sagt der Anwalt von Charlie Hebdo, Richard Malka, dann ein paar Worte. Er bittet darum, die Arbeit zu respektieren, unter den gegebenen Umständen, die ja eine sehr persönliche Auseinandersetzung sein wird. „Wir drücken uns aus, wie wir uns immer ausdrücken“, sagt er. Mit den Mitteln der Karikatur, der Satire. Sie sollten ausgelöscht werden. Sie machen weiter.