Allez, hop!, nächste Rolle

SCHÄFERSPIELE Mit einer charmanten Volkstheater-Version von Shakespeares „Wintermärchen“ heizt die Shakespeare Company Berlin derzeit in der Lokhalle auf dem Schöneberger Südgelände ein

VON KATHARINA GRANZIN

In der riesigen ehemaligen Lokhalle auf dem Schöneberger Südgelände steht ein Zelt. Fehlte es, wie würden wir frieren! Die Halle ist eiskalt am Abend der Premiere, doch innerhalb der Zeltbahnen hat man nicht nur geheizt, sondern hält auch Decken bereit, die das stundenlange Sitzen gemütlicher machen.

Für die Wärme von innen gibt es Punsch zu kaufen. Der kann unter Umständen nötig werden, um das Fehlen menschlicher Wärme auszugleichen, das für die erste Hälfte von Shakespeares „Wintermärchen“ charakteristisch ist. Es ist die erste Winterproduktion der Berliner Shakespeare Company, die bisher nur in der warmen Jahreszeit auf dem Schöneberger Südgelände spielte – bei gutem Wetter im Wäldchen, bei schlechtem in der Lokhalle. Finanziert wurde das Winterstück aus Spendengeldern der Zuschauergemeinde.

Passend zur Jahreszeit ist „Das Wintermärchen“ ein eher trauriges Märchen, ein eigentlich seltsames dramatisches Zwitterwesen, das in seiner düsteren ersten Hälfte wie eine antike Tragödie daherkommt und erst in den letzten beiden Akten zu komödiantischer Form aufläuft.

Leontes, der König von Sizilien, ist entsetzlich eifersüchtig. Er hängt der fixen Idee an, seine schwangere Frau Hermione habe eine Affäre mit dem gerade zu Besuch weilenden Polixenes, König von Böhmen, und beauftragt seinen Vertrauten Camillo, den Nebenbuhler zu töten. Camillo aber warnt Polixenes und flieht mit diesem nach Böhmen. Die schwangere Hermione wird vom Gatten in den Kerker geworfen, wo sie eine Tochter zur Welt bringt. Es kommt zu einem Prozess, zu dessen Urteilsfindung das Orakel von Delphi befragt wird. Es spricht die tugendhafte Frau von jeder Schuld frei; doch zu spät. Ihr Sohn, der junge Prinz, ist bereits vor Kummer gestorben, und seine Mutter folgt ihm nach.

Die neugeborene Tochter aber, die auf Befehl des königlichen Vaters in der Wildnis ausgesetzt werden sollte, wird von einem Edelmann nach Böhmen gebracht, von einem Schäfer gefunden und aufgezogen. So kann fünfzehn Jahre später ein lustiges Verwirrspiel um Identität und Verliebtheit seinen Gang nehmen.

Die ausgestellte Lust am Sichverkleiden

Die Shakespeare Company Berlin sieht sich in der Tradition eines Volkstheaters, wie auch Shakespeare es zu Lebzeiten bediente. Dazu gehört unter anderem eine offensiv ausgestellte Lust am Sichverkleiden, am Chargieren und am Flirt mit dem Publikum. Nur vier DarstellerInnen decken das beträchtliche Personenrepertoire des Stücks ab und sorgen zusätzlich für einen musikalischen Rahmen. Jeder und jede spielt abwechselnd drei verschiedene Rollen; für die Darstellung des jungen Prinzen hat man kein Kind auf die Bühne geschickt, sondern eine Handpuppe mitgebracht.

Die Mehrfachbesetzung verlangt den SchauspielerInnen einige Wandlungsfähigkeit ab. Ganz besonders gilt das für Johanna-Julia Spitzer und Nico Selbach, die zusätzlich zu ihren Hofrollen das niedere komödiantische Spektrum bedienen und den Schäfer sowie seinen geistig etwas langsamen Sohn mimen – in breitestem norddeutschen Akzent, was ein hübscher Kommentar zu der geografischen Irritation ist, dass Böhmen bei Shakespeare am Meer liegt. Thilo Herrmann muss in einer Szene von einer Seite der Bühne auf die andere springen, um in einem Streitgespräch zwischen dem König von Böhmen und dessen Sohn beide zu mimen.

Allein Katharina Kwaschik hat mit der Darstellung von Hermione und deren Tochter Perdita eher wenig Abwechslung im Rollenspektrum, aber dafür die größte musikalische Verantwortung des Abends. Sicherlich können nicht alle vier SchauspielerInnen gleich gut singen, das aber immerhin vierstimmig. Im Volkstheater muss man sich was trauen. Das gilt auch für die Übersetzung, die Regisseur Christian Leonard wie stets selbst besorgt hat. Er hat das Stück unbefangen sprachlich modernisiert und natürlich weggelassen, was man nicht unbedingt braucht.

Vom Kinn auf die Stirn

So passt das alles sehr schön in- und zueinander. Auch die Kostüme sind sowohl eine Augenweide als auch wirklich praktisch. Wenn man sich schnell umziehen muss, ist es von Vorteil, wenn das aufwendige Glitzerhofkleid umgehängt werden kann wie eine Schürze. Oder wenn man einfach nur den Bart vom Kinn auf die Stirn schieben muss, wo er umstandslos zum Kopfschmuck wird.

So traurig der Abend begann, so sehr haben schließlich alle gelacht. „Das war für mich die beste Therapie!“, höre ich eine Frau hinter mir sagen, als der Schlussapplaus verklungen ist. So kann man es natürlich auch sehen.

■ Jeweils Donnerstag bis Sonntag bis 25. Januar, Do./Fr. 20 Uhr, Sa. 19 Uhr, So. 18 Uhr. Reservierung unter tickets@shakespeare-company.de oder (030) 21 75 30 35