Heiter bis säumig

UNTERHALT Nirgendwo zahlen säumige Elternteile so wenig wie in Bremen. Das liegt offenbar nicht nur an der Sozialstruktur, sondern auch am laxen Jugendamt. In anderen Bundesländern ist man schon weiter – und strenger

VON GARETH JOSWIG

Wenn säumige Eltern keinen Unterhalt zahlen, soll das Jugendamt mit einem Vorschuss an Alleinerziehende helfen. Auf Antrag springt es dabei für geringverdienende oder arbeitslose Unterhaltszahler ein. Diesen „Unterhaltsvorschuss“ kann sich das Jugendamt jedoch von säumigen Eltern zurückholen – zumindest für die Zeiträume, in denen die genug verdienten.

Die Zahlen im Land Bremen sind auf den ersten Blick erschreckend: Inzwischen belaufen sich die Außenstände auf 17 Millionen Euro. Die Rückholquote setzt vorgeschossene Summen mit zurückgezahlten ins Verhältnis. 2013 lag sie bundesweit bei 21 Prozent. In Niedersachsen belief sie sich auf 26, in Schleswig-Holstein auf 22 Prozent. In den Stadtstaaten lag sie deutlich niedriger: in Hamburg bei 13 Prozent, Bremen ist mit elf Prozent bundesweites Schlusslicht.

In Bremen hat es 2001 7.000 säumige Eltern gegeben, inzwischen sind es über 10.000. Bernd Schneider, Sprecher des Sozialressorts, begründet dies mit Bremens Sozialstruktur: „Wir haben die höchste Arbeitslosigkeit, Sozialhilfequote, Kinderarmut – da kann man keine hohen Rückflüsse erwarten.“ Der größte Teil der Forderungen sei nicht zu realisieren.

Die Begriffe „Unterhaltsvorschuss“ und „säumig“ bezeichnet Schneider als irreführend – rechtlich bestehe nur der Anspruch auf Rückzahlung für Monate, in denen der Elternteil auch genug verdient hat. „Es ist nicht so, dass die gehandelten Summen leicht verfügbar auf der Straße lägen.“

Das Thema nervt ihn: Es ist ein Dauerbrenner, den nicht nur Medien wiederholt aufgriffen: Zuletzt hatte auch die CDU-Opposition eine Parlamentsanfrage gestellt, ob säumigen Elternteilen mit Inkasso-Firmen beizukommen sei. Das verhinderten laut Sozialressort jedoch datenschutzrechtliche Hürden. Es würde auch nicht viel bringen, sagt Schneider: „Es ist auch mit größerem Verwaltungsaufwand nicht zu erwarten, dass netto spürbar mehr Geld in unsere Kassen fließt.“ Personeller Aufwand fresse die zusätzlichen Einnahmen wieder auf. Beim Eintreiben der Summen gehe es „um Gerechtigkeit – nämlich dass der jenige, der zahlen kann, auch zahlen soll“.

Immerhin hat man ein neues „Forderungsmanagement“ eingerichtet, dass Außenstände der Sozialbehörde erheben soll. Ein Teilbereich dessen soll sich auch mit dem Unterhaltsvorschuss befassen, aber im Moment stehen andere Forderungen im Vordergrund – jene, bei denen mehr Geld zu holen ist.

Praxiserfahrungen mit Bremens Jugendämtern hat Greta Jakobsen (Name geändert) gemacht. Dass die Lage in Bremen schlecht ist, kann sie deshalb sagen, weil sie 2011 nach Baden-Württemberg umgezogen ist. Sie kann vergleichen, wie man in den verschiedenen Jugendämtern mit zahlungsunwilligen Vätern umgeht. Jakobsen ist seit 2007 alleinerziehend und hoffte nach der Trennung zunächst, sich mit ihrem Ex-Partner gütlich zu einigen. Er solle hin und wieder mal Schuhe oder Windeln für die gemeinsame Tochter kaufen. Das klappte jedoch nicht.

Nach Streitereien hat sich die Alleinerziehende entschlossen, den ihr zuständigen Unterhalt beim Jugendamt Bremen einzufordern. Schon der Antrag bereitete Probleme: Mitarbeiter gaben am Telefon verschiedene Auskünfte, niemand fühlte sich zuständig. Nach Wochen hatte sie einen Termin beim Sachbearbeiter. Der pampte sie an, warum sie sich erst jetzt kümmere.

Während dieser Zeit arbeitete Jakobsen nebenher, kam mit dem verdienten Geld aber nicht aus. Sich neben der Erziehung noch um die Unterhaltsansprüche zu kümmern, war eine zusätzliche Belastung. Erst von einer ebenfalls alleinerziehenden Freundin und nicht etwa durch das Jugendamt erfuhr sie, dass es die Möglichkeit gibt, eine Beistandsschaft für den Unterhalt zu beantragen. In Folge müsste sich das Amt darum kümmern, dass der Vater Unterhalt zahlt oder Unterhaltsvorschuss geleistet wird.

Als Jakobsen die Beistandsschaft in Bremen beantragen will, sagt man ihr, dass sich das in ihrem Fall nicht lohne: Beim arbeitslosen Kindsvater sei nichts zu holen. Dass sie einen rechtlichen Anspruch auf die Beistandsschaft hat, verschwieg man. Sie musste sich weiter selbst darum kümmern.

Nach ihrem Umzug nach Baden-Württemberg will Jakobsen beim dortigen Jugendamt erneut eine Beistandsschaft erwirken. Dort sagt man, das sei ihr gutes Recht – unabhängig von einer Erwerbstätigkeit ihres Ex-Partners. Man ist erschrocken darüber, welche Auskunft man ihr in Bremen gegeben hat.

In Baden-Württemberg übernimmt das Amt anstandslos die Beistandsschaft und kümmert sich um alles Weitere: Es bleibt zwar vorerst beim Unterhaltsvorschuss, aber Jakobsen erhält einen Unterhaltstitel. Der erleichtert es dem Amt, Druck auf zahlungsunwillige Elternteile auszuüben. Es ermöglicht Pfändungen oder Vergleiche mit säumigen UnterhaltszahlerInnen. Jakobsens Ex-Partner landet daraufhin vor dem Familiengericht, die Alleinerziehende erhält seitdem in jedem Fall Geld. Ob ihr Ex-Partner zahlungsfähig ist, überprüft das Amt alle zwei Jahre. Jakobsen hat mehr Zeit für Arbeit und Erziehung.

Demgegenüber scheint das Bremer Jugendamt nicht allzu bestrebt zu sein, Gelder von Zahlungsunwilligen einzutreiben. Eine Beistandsschaft, die Alleinerziehende entlastet, scheint unabhängig von der Erwerbstätigkeit des säumigen Elternteils sinnvoll. Ein Unterhaltstitel hilft beim Einklagen von Außenständen. Voraussetzung dafür ist jedoch die Aufklärung in den Ämtern. Bis das Praxis ist, bleibt Bremen ein Land, in dem es säumige Eltern relativ leicht haben, sich der Verantwortung zu entziehen.

Das jedenfalls legt der Fall von Greta Jakobsen nahe. Als sie ihrer Sachbearbeiterin im Jugendamt Bremen mitteilte, dass sie wisse, dass ihr Ex-Partner freiberuflich Abrechnungen unter einem falschen Namen ausstelle, um keinen Unterhalt zahlen zu müssen, entgegnet man ihr: „Wenn wir allen Anschwärzungsversuchen nachgehen würden, dann hätten wir zu viel zu tun.“