Hoffnung im tiefroten Bereich

WAHL Nach 10 Jahren Rot-Rot ist Berlin noch immer hoch verschuldet – aber die Aussichten werden besser

■ Ein dritte Auflage der rot-roten Koalition ist unwahrscheinlich. Nach den letzten Umfragen haben SPD und Linke zusammen keine Mehrheit mehr. Grund dafür ist der absehbare Erfolg der Piratenpartei. Ihr werden je nach Institut 5 bis 9 Prozent prognostiziert.

■ Die SPD liegt in allen Umfragen mit gut 30 Prozent weit vorn. Die CDU rangiert mit etwas über 20 Prozent auf Platz zwei. Den Grünen wurden zuletzt etwas unter 20 Prozent prognostiziert, die Linke liegt bei 11 Prozent.

■ Erwartet wird eine rot-grüne Koalition. Rot-Schwarz wäre rechnerisch auch möglich, wird aber in der SPD wenig gewünscht. (taz)

BERLIN taz | Die Berliner Schuldenuhr tickt nahezu im Verborgenen. In einer Seitenstraße am Botanischen Garten rattern die Nachkommazahlen vor sich hin, dort sitzt der regionale Steuerzahlerbund. Tatsächlich brauchen die Bewohner der Hauptstadt keine mahnende Schautafel – das öffentliche Leben ist Erinnerung genug daran, dass Berlin nach wie vor chronisch pleite ist. Mehr als 63 Milliarden Euro Schulden haben sich angesammelt, der Großteil davon nach der Wende. Doch auch wenn sich die BerlinerInnen über Schlaglöcher, Lehrermangel und marode Operationssäle aufregen: Nach zehn Jahren rot-roter Finanzpolitik sind die Aussichten deutlich besser, als sie es beim Amtsantritt des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) im Jahr 2001 waren.

Bizarrerweise verdankt Wowereit seinen Aufstieg einzig dem Problem, an dem er seither seine Politik ausrichten musste: Der Bankenskandal stürzte den CDU-Regenten Eberhard Diepgen vom Thron. Als Nachfolger stand Wowereit vor einer Landesbank in Scherben, einer geplatzten Immobilienblase und Gläubiger- und Investorenforderungen in Milliardenhöhe. Wowereit griff an. „Sparen, bis es quietscht“, schrieb er sich auf die Fahnen. Eine rot-rote Landesregierung verlängerte in der Folge die Arbeitszeit für die öffentlich Beschäftigten, stoppte die Verbeamtung von Lehrern und verkaufte Landeseigentum wie die Energieversorger Gasag und Bewag; auch ein Teil der Wasserbetriebe ging an Privatkonzerne, was wegen garantierter Gewinne inzwischen hoch umstritten ist.

Einer der größten Brocken war die Bankgesellschaft. Das Land pumpte mehr als 1,7 Milliarden Euro in das Institut und nahm bis zu 21,6 Milliarden Euro Risiken auf sich, um einen Zusammenbruch zu verhindern. Die Bankgesellschaft wurde 2007 an den Sparkassenverbund verkauft – für stolze 5 Milliarden Euro, ein äußerst lukratives Geschäft für Berlin. Die mit Risiken behafteten Immobilien wurden ausgegliedert und in einer landeseigenen Holding gebündelt, der BIH.

In Thilo Sarrazin fand Wowereit einen willigen Vollstrecker. Tatsächlich schaffte er es Mitte des abgelaufenen Jahrzehnts, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Dann kam die Weltwirtschaftskrise – und auch in Berlin flaute die Konjunktur ab. Das Land kam mit einem blauen Auge davon; die kaum auf Export ausgerichtete Wirtschaft erwies sich als Glücksfall im Unglück.

Sarrazins Nachfolger, der parteilose Fischhändler Ulrich Nußbaum, führte den Sparkurs fort. Investiert wird nur noch vereinzelt, etwa in die Kinderbetreuung. Dass Berlin den Kitabesuch drei Jahre lang beitragsfrei macht, erzürnt die reichen Bundesländer, die jährlich fast 3 Milliarden Euro Länderfinanzausgleich in die Hauptstadt überweisen. Wären die Zinsen für Altschulden nicht, läge der Landeshaushalt mittlerweile im Plus. So soll er 2016 die null erreichen.

Die Voraussetzungen für Berlin sind tatsächlich so gut wie lange nicht: Am bisherigen Airport Tegel werden demnächst riesige Flächen frei, auf denen neue Technologien erforscht und erprobt werden können. Und im Ausland ist das Image Berlins ohnehin längst so viel wert, dass Unternehmen hier Dependancen eröffnen wollen – auch wenn die Umsätze (noch) nicht so viel versprechen wie in München oder Frankfurt. Die neue Landesregierung wird weiter ackern müssen. Aber der Boden ist nicht der schlechteste.

KRISTINA PEZZEI