Auf der Straße lauert der Tod

Obdachlose scheitern oft an den Bestimmungen des Gesundheitssystems. Bei Ärzten und Krankenkassen mangelt es an Verständnis. Und so sterben sie in einem Alter, in dem andere noch übers Kinderkriegen nachdenken

Der durchschnittliche Obdachlose wird nicht alt. 46 Jahre – mehr nicht. „Das liegt auch am Zugang zu medizinischer Versorgung“, sagt Leonhard Hajen, Vorsitzender der Hamburgischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung (HAG).

Seit den Hartz-IV-Gesetzen hätten sie die gleichen Rechte, aber auch die gleichen Pflichten wie andere Versicherte. Vorher konnten sie im Rahmen der Sozialhilfe einen Krankenschein beim Sozialamt erhalten. Die Zuzahlungen überforderten Wohnungslose, sagt Hajen. Das sei einer von vielen Gründen, warum Krankheiten bei Obdachlosen oft ungenügend behandelt würden. Auch der Verwaltungsaufwand, wie etwa die Mitgliedschaft bei einer Krankenkasse zu beantragen, sei auf der Straße oft nicht zu bewältigen.

Ein Viertel ihrer Arbeitszeit verbringe sie damit, Dinge zu erledigen, die ihre Patienten nicht schaffen, sagt Frauke Ishorst-Witte, Ärztin beim Diakonischen Werk Hamburg. „Es klingt simpel, aber die verschiedenen Stellen müssten einfach öfter zum Telefon greifen, anstatt die Menschen immer hin und her zu schicken.“ Dabei seien gerade Obdachlose leicht zu frustrieren. „Sie denken sich schnell: ‚Dann lass ich das eben‘“, sagt Ishorst-Witte. Dabei ist medizinische Versorgung gerade für Obdachlose wichtig, da sie an Kälte, Mangelernährung und Suchterkrankungen leiden.

So komme es, dass diese Menschen oft an relativ banalen Krankheiten sterben. „Eine Lungenentzündung ist heute schnell zu heilen“, sagt der Rechtsmediziner Klaus Püschel, bei Obdachlosen sei diese Krankheit jedoch eine häufige Todesursache.

Die Krankenstube in St. Pauli ist ein Ort, an dem Obdachlose nach ihren Bedürfnissen behandelt werden. Ein Sozialarbeiter klärt die Ansprüche bei Krankenkassen und Behörden. Doch diese Spezial-Krankenhäuser für Wohnungslose können nicht die Lösung sein, findet Frauke Ishorst-Witte. „Diese Parallelsysteme schleifen sich schnell ein, und dann kann das Regelsystem die Verantwortung abgeben.“

Oft sei einfach Menschlichkeit gefragt, sagt Hajen. „Wichtig ist, dass Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen akzeptieren, dass der Buchstabe des Gesetzes der Lebenswirklichkeit Wohnungsloser häufig nicht gerecht wird“. Er sagt, es müsse auch der Wille dasein, erst einmal zu helfen, und danach zu sehen, wie alles seinen „ordentlichen Gang“ gehen könne. STEFANIE HELBIG