Sause statt Sonderposten

AMTSGERICHT Wenn ein stellvertretender Marktleiter mit den Tageseinnahmen abhaut, profitiert das Hamburger Nachtleben. Danach kommt das Elend

T. trug das Geld in einer Tüte nach Hause, dann machte er sich auf den Weg nach Hamburg

Den Flur des Amtsgerichts durchzieht ein leichter Alkoholgeruch. Vor Zimmer 251 wartet eine einsame Gestalt. Die Staatsanwältin ist etwas verspätet, unruhig geht der Mann auf und ab, murmelt vor sich hin, dann darf er rein. Für ihn geht es um die Frage: Knast oder kein Knast?

In besseren Tagen, so trägt die Staatsanwältin nun vor, war der 44-Jährige stellvertretender Marktleiter: bei „Zimmermann“ in Walle. Das ist zwar nur ein Sonderposten-Markt, der in vier Tagen aber immerhin einen Umsatz von gut 20.000 Euro erwirtschaftet. Die hat T., so beginnt der Nachname des Angeklagten, vor neun Monaten mitgehen lassen.

Vertuschung war dabei kein Thema: T. besaß einen von zwei Schlüsseln, der andere war mit dem Chef auf Reisen. Geleugnet hat T. seinen Diebstahl nie.

T. trug das Geld in einer Tüte nach Hause, von dort machte er sich auf den Weg nach Hamburg. Vier Tage später waren aus vier Tageseinnahmen vier durchfinanzierte Nächte geworden. „Stimmt alles“, bestätigt er nun im Gerichtssaal, „so hab’ ich das gemacht.“ Statt um Wahrheitsfindung muss sich Richterin Ellen Best also um die Klärung des „warum“ bemühen.

Warum ruiniert sich jemand sehenden Auges? Warum bemüht er sich nicht einmal um Spurenverwischung? Die Antwort gibt die Nase: Mittlerweile hat sich die Alkoholfahne unter der niedrigen Decke des Saales im ganzen Raum ausgebreitet. „Ich schaffe keine Entgiftung“, sagt T.

Vor zehn Jahren habe er mit dem Trinken begonnen, das war nach der zweiten Trennung, geschieden ist er schon seit dem Jahr 2000. „Und nun?“, fragt Best, „haben Sie soziale Kontakte?“ Eine „Bekannte“ habe er, sagt T., „man könnte sagen, wir sind zusammen“. Auch sie trinke sehr gern mal einen.

Während sich Best, die auch Vize-Präsidentin des Amtsgerichts ist, um Einfühlung bemüht, übernimmt die Staatsanwältin den Part der harten Hand. „Ich sehe keinerlei Anzeichen für eine günstige Sozialprognose“, sagt sie – die aber wäre Voraussetzung für eine Aussetzung des erwartbaren Strafmaßes von sechs bis neun Monaten auf Bewährung. Zumal es eine Vorstrafe gibt: 2010 bedrohte T. eine Schlecker-Angestellte mit dem Messer, eine „versuchte räuberische Erpressung“. Damals, sagt T., „als ich das verbockt habe, war ich noch fit genug für einen Täter/Opfer-Ausgleich“. Anderthalb Jahre Haft wurden damals auf Bewährung ausgesetzt.

„Das einzige, was für Sie spricht“, fasst Best zusammen, „ist ihre Offenheit.“ Im Übrigen sei es unabdingbar, dass T. einen Pflichtverteidiger bekomme: „Wir brauchen dringend jemand, der Sie ein bisschen an die Hand nimmt.“ Best setzt das Verfahren aus, im Frühsommer werde man sich wieder sehen. „Bis dahin“, sagt sie zu T., „müssen Sie sich um eine Entziehungskur bemühen.“ Dann lässt sie die Fenster öffnen.  HB