Ärztin um jeden Preis

An der Uniklinik ist eine Frau aufgeflogen, die jahrelang ohne Examen als Kinderärztin gearbeitet hat. Die Klinikleitung versichert, dass niemand zu Schaden kam. Die Staatsanwaltschaft ermittelt

VON ELKE SPANNER

Frau E. hatte alles, was eine gute Ärztin braucht: Nach Aussage von Jörg Debatin, ärztlicher Direktor der Uniklinik Eppendorf (UKE), war sie fachlich kompetent, freundlich, teamfähig und einfühlsam. Nur eines hatte sie nicht: die erforderlichen Zeugnisse. Ein Staatsexamen als Ärztin hat die junge Frau nie abgelegt. Dennoch arbeitete sie vier Jahre als Ärztin in der Kinderklinik des UKE – bei der Bewerbung hatte sie gefälschte Zeugnisse vorgelegt. Am Montag flog ihre Lebenslüge auf. Frau E. wurde umgehend suspendiert. Inzwischen hat sie sich selbst bei der Staatsanwaltschaft angezeigt.

Patienten, versicherte Debatin gestern, seien durch die falsche Ärztin nicht zu Schaden gekommen. Nachdem die Klinikleitung von der Sache erfahren hatte, überprüfte sie umgehend die Krankenakten aller Patienten der Kinderklinik, bei denen es zu „schweren unerwünschten Ereignissen“ gekommen war. In keinem dieser Fälle, versicherte Debatin gestern, sei Frau E. verwickelt gewesen: „Ihr Name tauchte in einem solchen Zusammenhang nirgends auf.“ Er betonte, dass die Anfang 30-jährige Frau, die zuletzt als Assistenzärztin angestellt war, nie eigenverantwortlich gearbeitet hat. Sie sei stets unter der Aufsicht eines Fach- oder Oberarztes gewesen. Frau E. arbeitete in der Kinderklinik auf den regulären Stationen sowie auf der Intensivstation.

Ihren Berufswunsch als Ärztin konnte die junge Frau eigentlich 1998 begraben. Damals fiel sie im Medizinstudium zum dritten Mal durch die Zwischenprüfung, das Physikum. Sie wurde exmatrikuliert. Zu Beginn des folgenden Semesters jedoch tauchte sie im Studentensekretariat auf, legte ein Physikumszeugnis vor und behauptete, dass ihr Ausschluss ein Irrtum sei. Sie wurde wieder als Studentin eingeschrieben. Fortan, erzählt Debatin, setzte sie ihr Studium fort – nur zu Prüfungen meldete sie sich nie wieder an. Trotzdem hatte sie zeitgleich mit ihren Kommilitoninnen Zeugnisse für das erste, zweite und dritte Staatsexamen. „Die Fälschungen“, sagt Debatin, „waren sehr gut.“

Nach dem Studium dann bewarb sie sich als Ärztin im Praktikum am UKE. Im März 2003 kam sie unter Vertrag. Da die Kolleginnen und Kollegen sehr zufrieden mit der angeblichen Medizinerin waren, wurde sie im September 2004 als Assistenzärztin angestellt. „Sie war uns als kompetente Ärztin aufgefallen“, sagt Debatin. Parallel zu ihrer praktischen Arbeit veröffentlichte sie auch in medizinischen Fachmedien. Für ihre wissenschaftliche Arbeit wurde sie sogar mit Preisen ausgezeichnet.

Dass die falsche Ärztin doch noch aufflog, ist der Hartnäckigkeit der Ärztekammer zu verdanken. Die verlangte von ihr die Vorlage ihrer ärztlichen Approbation im Original. Zwar hatte die Frau ein entsprechendes Zeugnis, angeblich ausgestellt von der Gesundheitsbehörde, bei der Ärztekammer vorgelegt – aber nur als Kopie. Immer wieder forderte die Ärztekammer das Originaldokument an. Voriges Jahr dann verhängte sie ein Bußgeld gegen die Frau – ohne Erfolg. Schließlich setzte die Kammer zur Vorlage eine letzte Frist. Ablauf: Montag dieser Woche. Als da immer noch keine Original-Zulassungsurkunde eingegangen war, fragte die Ärztekammer schließlich beim Landesprüfungsamt nach. Und erfuhr, dass eine Studentin mit dem Namen der Frau niemals ein medizinisches Staatsexamen abgelegt hat.

Nun ist nicht nur die berufliche Zukunft der jungen Frau hin. Ihr droht auch eine Gefängnisstrafe wegen Urkundenfälschung und Einstellungsbetrugs. Bis zu fünf Jahre Haft stehen auf diese Delikte. Als der ärztliche UKE-Direktor Debatin die Frau am Montagabend zum Klärungsgespräch zitierte, habe sie ihm gegenüber ein Geständnis abgelegt. Die Beweislage, sagt Debatin, „war erdrückend“.

Auch für das UKE soll der Vorfall nicht ohne Konsequenzen bleiben. Zusammen mit dem Landesprüfungsamt und der Ärztekammer will die Klinik das Verfahren zur Einstellung neuer Kollegen überarbeiten. Obwohl Debatin überzeugt ist, dass es zwar „ein dramatischer Vorgang“ ist – aber auch „ein Einzelfall“.