Grüne Wahlversprechen auf der Kippe

RHEINLAND-PFALZ Flüchtlingslobby verlangt Auflösung des Abschiebeknastes. Rot-Grün beruft runden Tisch

■ Regieren geht über studieren: Diese Erfahrung in einem Bündnis mit der SPD – zitiert nach Joschka Fischer – müssen nun die Grünen in Rheinland-Pfalz machen. Bis zur Landtagswahl im März waren die Grünen noch nicht einmal im Landtag, dann sollten sie mit einem Ergebnis von 15,4 Prozent gleich mitregieren. Seither werden Grundsatzhaltungen neu kommuniziert und auch revidiert: beim Hochmoselübergang (einer gigantischen Autobahnbrücke), bei den Subventionen für den Flughafen Hahn und das Formel-1-Rennen auf dem Nürburgring, bei der Justizreform – und eben wie jetzt auch beim Abschiebegefängnis Ingelheim. Grün pur war gestern. (kpk)

MAINZ taz | Die Regierungspartei Bündnis 90/Die Grünen in Rheinland-Pfalz ist auf dem besten Weg, ihre bisherige Forderung nach Schließung des Abschiebegefängnisses in Ingelheim am Rhein zu revidieren. Das jedenfalls behaupten in der Flüchtlingsarbeit aktive Menschenrechtsorganisationen, darunter terre des femmes und der Saarländische Flüchtlingsrat.

In einer „Ingelheimer Erklärung“ werfen sie den Grünen vor, den „Abschiebeknast“ nicht mehr – wie noch im Wahlkampf versprochen – abschaffen, sondern nur noch die Haftbedingungen verbessern zu wollen. Als Grund dafür vermuten sie Druck des Koalitionspartners SPD.

„Die endgültige Schließung der Landeseinrichtung für den Vollzug der Abschiebehaft steht bei den Grünen weiter ganz oben auf der politischen Agenda“, versichert dagegen der Fraktionschef der Grünen im rheinland-pfälzischen Landtag, Daniel Köbler. „Spätestens Ende 2015“, so Köbler jetzt auf Nachfrage, werde das rheinland-pfälzische Abschiebegefängnis in Ingelheim Geschichte sein. Schließlich sei ja auch das „Ausreisezentrum“ in Trier gleich nach der Konstituierung der rot-grünen Koalition zugesperrt worden. So war es vor der Wahl im März dieses Jahres auch versprochen worden.

Die „Flüchtlingslobby“ (Selbstbezeichnung) reibt sich vor allem an dem Begriff „ergebnisoffen“: Mit diesem Wort umschrieb die rot-grüne Landesregierung den Arbeitsauftrag für einen runden Tisch zur Aufarbeitung der Problematik rund um den Abschiebeknast.

Eine humane Abschiebehaft gäbe es jedoch nicht, sagen die unabhängigen Flüchtlingshilfeorganisationen. Aufgabe des runden Tisches, an dem inzwischen Vertreter von Regierungsstellen, Glaubensgemeinschaften, Verbänden und Vereinen Platz genommen haben, könne es deshalb nur sein, ausschließlich nach Wegen zur raschen Schließung des Abschiebegefängnisses zu suchen. Einer „ergebnisoffen“ geführten Debatte dagegen werde man sich verweigern.

Die Ingelheimer Gewahrsamseinrichtung hält 152 Haftplätze für Ausreisepflichtige vor, darunter 50 Plätze, die das Saarland in Anspruch nehmen kann. Aktuell sind dort allerdings weniger als 20 Zellen belegt.

„Wir als Grüne Partei sehen keine Notwendigkeit, Menschen in Abschiebehaft zu nehmen“, sagte auch die grüne Integrationsministerin Irene Alt am Dienstag im Gespräch mit der taz. Es gehe jetzt allerdings erst einmal darum, so schnell wie möglich „die Lebensbedingungen der dort eingesperrten Menschen unter humanitären Gesichtspunkten zu verbessern“. Noch allerdings müsse das Land die Bundesgesetzgebung beachten und den Vollzug von Abschiebehaft garantieren, ergänzte Ministerin Alt abschließend.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT