Deutschland will nicht für Weltkriegsopfer zahlen

VÖLKERRECHT Gerichtshof verhandelt Schadenersatz-Ansprüche der Opfer von Weltkriegsverbrechen

Beobachter gehen davon aus, dass Deutschland den Prozess wohl gewinnen wird

FREIBURG taz | Am Montag beginnt in Den Haag ein Prozess, der das Verhältnis von nationaler Souveränität und individuellen Menschenrechten neu bestimmen könnte. Vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) wird über eine Klage Deutschlands gegen Italien verhandelt. Es geht um italienische Schadenersatz-Urteile wegen Verbrechen aus dem Zweiten Weltkrieg. Italien habe damit das Prinzip der „Staatenimmunität“ verletzt, so die deutsche Klage. Kein Staat dürfe über einen anderen zu Gericht sitzen.

Zahlreiche Klagen

Ausgangspunkt war der Fall des Italieners Luigi Ferrini. Er war als junger Mann 1944 in Italien von deutschen Truppen festgenommen worden und nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt worden. Ab 1998 verlangte er vor italienischen Gerichten von Deutschland Schadenersatz. Zunächst wurde nur auf die Staatenimmunität verwiesen. Doch 2004 hatte er vor dem Kassationsgerichtshof in Rom Erfolg: Die Menschenrechte stünden über der Staatenimmunität.

Das Ferrini-Urteil löste in Italien zahlreiche Klagen aus. Neben Exzwangsarbeitern verlangen auch ehemalige italienische Soldaten („Militärinternierte“) Schadenersatz, denen im Zweiten Weltkrieg der Status als Kriegsgefangene verweigert wurde und die ebenfalls Zwangsarbeit leisten mussten. Außerdem klagten die Hinterbliebenen der Opfer von deutschen Kriegsverbrechen. So wurde Deutschland für das Massaker im Ort Civitella zu einer Million Euro Schadenersatz verurteilt. Dort ermordeten deutsche Soldaten 1944 rund 200 Zivilisten.

Hinzu kommen Urteile von griechischen Gerichten, die in Italien vollstreckt werden. Die Hinterbliebenen des SS-Massakers von Distomo, bei dem ebenfalls rund 200 Menschen ermordet wurden, bekamen in Griechenland zwar 30 Millionen Euro Schadenersatz zugesprochen, doch verhinderte der griechische Justizminister unter Verweis auf die Staatenimmunität eine Zwangsversteigerung des Goethe-Instituts in Athen. Klagen in Deutschland scheiterten ebenfalls. Italienische Gerichte wollen die Schadenersatzforderung jedoch in Italien vollstrecken lassen. Deshalb wurde das deutsch-italienische Kulturzentrum Villa Vigoni am Comer See mit einer Zwangshypothek belegt.

Wegen dieser Welle von Urteilen reichte die Bundesregierung 2008 Klage beim Internationalen Gerichtshof ein. Der IGH ist das Völkerrechtsgericht der UNO. Federführender Minister war Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Italien soll wegen Verletzung der Staatenimmunität verurteilt werden. Die italienische Regierung hat inzwischen per Verordnung die Vollstreckung gegen deutsches Eigentum in Italien gestoppt, bis der IGH entschieden hat.

Das Verfahren ist von enormer Bedeutung für die deutsche (finanzielle) Aufarbeitung von Weltkriegsverbrechen. Die Bundesrepublik müsste mit unzähligen Klagen rechnen, nicht zuletzt aus Osteuropa, wo die staatlich vereinbarten Reparationen nur selten bei den Betroffenen ankamen.

Würde der IGH die deutsche Klage ablehnen, hätte dies aber auch weltweit Auswirkungen. Bisher müssen nach Kriegen die beteiligten Staaten miteinander verhandeln, künftig könnten Opfer und Hinterbliebene vor zivilen Gerichten Schadenersatz verlangen.

Wegen der unabsehbaren Folgen gehen Beobachter aber davon aus, dass Deutschland den Prozess wohl gewinnen wird. Die 15 Richter unter Vorsitz des Japaners Hisashi Owada könnten sich darauf zurückziehen, dass das Prinzip der Staatenimmunität jedenfalls für Fälle aus den 1940er Jahren noch nicht eingeschränkt ist. Die Richter könnten so offen lassen, wie sich das Völkerrecht seither weiterentwickelt hat.

Der Prozess ist auf fünf Tage angelegt. Von Montag bis Freitag wird in Den Haag verhandelt. Ein Urteil wird aber erst in einigen Monaten verkündet.

CHRISTIAN RATH

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