ortstermin
: Ein Stück vom Kardinal

In der Reihe „Ortstermin“ besuchen Autoren der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms

Orden klirren auf Schützenbrüsten. Fahnen, die Slogans tragen wie „Glaube-Heimat-Sitte“, werden mit großer Geste vor dem Altar in die Waagerechte gebracht. Hinter dieser martialischen Zugspitze, den wuseligen kleinen MessdienerInnen und zahlreichen Geistlichen trägt Bischof Reinhard Lettmann die Hauptperson. Beziehungsweise ein Stück von dem, was von ihr übrig ist. Ein fingernagelgroßes, poröses Knochenstück des 2005 selig gesprochenen Münsteraner Bischofs Clemens August Kardinal von Galen wird an seinen neuen Bestimmungsort, die Wallfahrtskirche in Cloppenburg-Bethen, überführt.

Derartige Überreste von Heiligen finden sich in jeder katholischen Kirche, heute meist diskret verborgen. Die frühen Christen gedachten an den Gräbern ihrer Märtyrer des Opfers, das sie für den Glauben gebracht hatten. Bald jedoch gab es mehr christliche Gemeinden als verfügbare Märtyrerleichen. Die Helden mussten geteilt werden. Dieses Schicksal ereilte auch Kardinal von Galen mit seiner Seligsprechung. Bischof Lettmann möchte nicht als Leichenfledderer erscheinen. Pietätvoll habe man sich für ein Stück vom Finger entschieden, das noch im Handschuh steckte, berichtet er. Dabei machte es der Kardinal seinem Nachfolger nicht so leicht wie eine andere Münsteraner Selige, die Nonne Anna Katharina Emmerick, deren Visionen die blutige Vorlage für Mel Gibsons „Passion of Christ“ lieferten. Von Emmericks stigmatisiertem Leib blieben nur Knochen übrig. Der Leichnam des Kardinals dagegen war 60 Jahre nach seinem Tod noch unverwest.

Das Knochenstück für Bethen hat der Goldschmied Herbert Feldkamp in einem Reliquiar verarbeitet, wo es hinter einem transparenten Edelstein sichtbar ist. Für größtmögliche Authentizität wurde ein zweites Mal zum Messer gegriffen: Diesmal erwischte es einen Holzbalken in der Kapelle der Burg Dinklage, von Galens Geburtshaus, von dem ein Stück zu dem Reliquiar verarbeitet wurde.

Die üppige Prozession der katholischen Vereine macht das Milieu anschaulich, das von Galen nach seinem Tod 1946 als „Löwen von Münster“ feierte. Der resolute Kardinal hatte in seinen Predigten das Euthanasie-Programm der Nazis öffentlich gemacht und für einige Jahre aufhalten können. Selbstbewusstsein gab den Oldenburgischen Katholiken auch der erfolgreiche „Kreuzkampf“ um die Bekenntnisschulen, eine der wenigen Rebellionen gegen das Nazi-Regime. Gleichzeitig blieb ihr Hirte einem deutsch-nationalen Denken verhaftet, begrüßte den Überfall auf die Sowjetunion und war der Demokratie gegenüber zeitlebens skeptisch.

Den Gläubigen in der vollen Basilika ist seine andere Seite in Erinnerung geblieben. Ein nettes Ehepaar lobt, dass der Kardinal schon 1934 gegen Hitler predigte. Den hielt von Galen damals allerdings noch für einen Gesandten der göttlichen Vorsehung. Elisabeth Deeke ist dem Kardinal dankbar. Sie hat zwei behinderte Kinder geboren und bis zu deren Tod gepflegt. Das Unverständnis, das ihr entgegenschlug, hat sie schockiert. Mit Blick auf die Anti-Euthanasie-Predigten des Kardinals findet sie: „Da ist es gut, wenn man von kompetenter Stelle bestätigt wird.“ ANNEDORE BEELTE