Mehr Drive im Taxi

SOZIALES Der Mindestlohn wird dafür sorgen, dass Taxifahrer künftig häufiger einen Fahrgast im Auto haben und weniger warten müssen – falls sie nicht entlassen werden

Das Trinkgeld geht übrigens in der Regel zu 100 Prozent an den Fahrer

VON SVENJA BEDNARCZYK
UND SEBASTIAN HEISER

Im Norden Neuköllns hält ein Mercedes. „Einmal Richtung Alexanderplatz, bitte.“ Der Fahrer, ein Mittvierziger, schmeißt das Taxameter an und brettert schweigend los. Die Straßen sind leer – es ist Freitagmorgen, zwei Uhr.

„Sagen Sie, wie ist das eigentlich mit Ihrem Mindestlohn?“ Die Frage reicht aus, um beim Fahrer einen Redeschwall auszulösen. „Auch wir bekommen dann 8,50 Euro brutto die Stunde“, sagt er und schaut durch den Spiegel auf die Rückbank. Das Navigationsgerät wirft Licht auf sein Gesicht. Doch sei der Mindestlohn schlechter für ihn als die jetzige Situation. „Bisher muss ich 60 Prozent an meinen Chef abgeben, 40 Prozent darf ich behalten.“

Ab Januar 2015 gilt ein neuer Vertrag. Dann muss der Fahrer alle Einnahmen an den Chef abgeben und erhält den Mindestlohn, doch muss er dafür mindestens 8,50 Euro die Stunde Umsatz machen – besser noch das Doppelte. „Wenn man einen Monat lang unter dem Soll ist, wird man gefeuert“, sagt er.

Der Fahrer will anonym bleiben. „Der Druck wird nächstes Jahr schon groß genug werden“, sagt er, „denn unter der Woche ist es manchmal schwierig, die 8,50 Euro zu erreichen.“ Er fährt deshalb vor allem in Kreuzberg, Neukölln und Mitte, da wo etwas los ist. Doch versuchen das viele, auf der Fahrt kreuzen den Wagen neun unbesetzte Taxen. Nach zehn Minuten und rund drei Kilometern Strecke zeigt das Taxameter neun Euro an.

Eine zweite Fahrt geht von einem Club in Mitte nach Friedrichshain. Es riecht nach Ledersitzen, wieder geht es um den Mindestlohn, doch bleibt der Fahrer diesmal ruhig. Er sagt, er bekomme ungefähr dasselbe raus, schon jetzt arbeite er mit Stundenlohn. „Im Moment liegt der Stundenlohn zwar unter acht Euro, doch bekommen wir sieben Euro am Tag für Verpflegung“, sagt der 40-Jährige, „das wird dann wohl wegfallen.“

Von diesen zwei zufällig ausgewählten Taxifahrern ist der erste typischer für Berlin: Die meisten angestellten Taxifahrer haben bisher keinen festen Stundenlohn erhalten, sondern arbeiten auf Provisionsbasis. In ihrem Arbeitsvertrag steht kein Monatslohn und kein Stundenlohn, sondern eine prozentuale Beteiligung – auch wenn sie sozialversichert und fest angestellt sind. Wenn die Beteiligung bei 50 Prozent liegt, bedeutet das: Von einer Zehn-Euro-Fahrt bekommt der Fahrer fünf Euro als Bruttolohn. Die anderen fünf Euro bekommt das Unternehmen – für Taxi, Sprit, Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung und die Angestellten in der Verwaltung. Das Trinkgeld geht in der Regel zu 100 Prozent an den Fahrer.

Eine auf den ersten Blick überraschende Wahrheit über das Taxigewerbe ist, dass der Stundenlohn eines Fahrers nicht vom Taxitarif abhängt – sondern von seiner unbezahlten Wartezeit. Vor ein paar Jahren hat ein Taxi-Verband veröffentlicht, dass ein Fahrer im Schnitt 1,1 bezahlte Fahrten pro Stunde zu je elf Euro macht. Der Umsatz liegt also bei rund 12 Euro die Stunde und der Stundenlohn für den Fahrer bei sechs Euro. Um diese Fahrleistung zu erbringen, ist ein Taxi aber nur eine Viertelstunde unterwegs. Die restliche Zeit wartet der Fahrer auf Kundschaft.

Was passiert unter diesen Bedingungen, wenn die Taxitarife um zehn Prozent steigen? Man könnte vermuten, dass dann auch die Stundenlöhne steigen. Doch in der Vergangenheit stieg stattdessen die Zahl der Fahrer. Denn der Staat darf die Zahl der Taxikonzessionen nicht mehr begrenzen. Die Kosten für eine neue Konzession sind gering – für nur 150 Euro lässt sie sich fünf Jahre verlängern. Solange in der Vergangenheit also genug Menschen bereit waren, für sechs Euro pro Stunde Taxifahrer zu werden, so lange sorgten Fahrpreiserhöhungen lediglich für mehr Fahrer – und mehr Wartezeit für die Fahrer.

Wenn ab Januar der Mindestlohn gilt, muss das Entlohnungsmodell für angestellte Taxifahrer umgestellt oder zumindest ergänzt werden. Eine umsatzabhängige Vergütung ist auch weiter erlaubt – aber dabei darf eine zeitabhängige Vergütung von 8,50 Euro nicht unterschritten werden.

Mathematisch gesehen besteht der Taximarkt aus einer einfachen Gleichung: Gesamtumsatz geteilt durch die Zahl der Fahrer geteilt durch die Arbeitszeit der Fahrer ergibt den Stundenlohn. Wenn der Stundenlohn von sechs Euro auf 8,50 Euro steigen soll, müssen daher entweder die Berliner mehr Taxi fahren – was nicht passieren wird. Die zweite Möglichkeit ist, dass ein Drittel der Fahrer arbeitslos wird.

Die dritte Möglichkeit ist, dass alle Fahrer ihre Arbeitszeit um ein Drittel reduzieren. Das ist eine interessante Option: Sie würde bedeuten, dass alle Fahrer ihre Arbeitsplätze behalten und auch alle genauso viel verdienen wie bisher, das aber in kürzerer Zeit. Dafür wäre aber eine branchenweite Absprache notwendig, die es nicht gibt. Natürlich ist auch eine Mischung aus den beiden letzten Möglichkeiten denkbar. Auf jeden Fall werden – das ist unabdingbar – die unproduktiven Wartezeiten für die übrig bleibenden Fahrer verkürzt: Sie haben in Zukunft während eines größeren Teils ihrer Arbeitszeit einen zahlenden Fahrgast neben sich. Und am Taxistand wird die Warteschlange kürzer.

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