Suizid nach Kriegseinsatz

Unter US-Soldaten ist die Selbstmordrate so hoch wie seit 26 Jahren nicht mehr. Pentagon nennt die Zahlen „alarmierend“ und stellt mehr Psychologen an

WASHINGTON taz ■ Das US-Militär verzeichnet die höchste Selbstmordrate seit 26 Jahren. Besonders viele Soldaten, die im Irak und in Afghanistan dienen, wollen nicht mehr leben. Insgesamt nahmen sich im vergangenen Jahr 99 US-Soldaten das Leben, 28 davon waren am „Krieg gegen den Terror“ beteiligt, berichtete das Verteidigungsministerium in Washington am Donnerstag (Ortszeit).

„Es besteht eine signifikante Beziehung zwischen Selbstmordversuchen und der Anzahl von Stationierungstagen im Irak und in Afghanistan“, heißt es in dem Pentagon-Bericht. Neben den Belastungen im Kriegseinsatz kommen als Auslöser für die Verzweiflungstat gescheiterte Liebesbeziehungen sowie juristische und finanzielle Probleme hinzu. Im Kriegseinsatz töten sich doppelt so viele Frauen wie in der Truppe zu Hause.

Die bisher höchste Zahl an Selbstmorden verzeichnete das Pentagon 1991, dem Jahr des ersten Golfkriegs, als sich bei größerer Truppenstärke 102 US-Soldaten das Leben nahmen. Im Jahr 2005 töteten sich 88 Soldaten. Mit nun 17,3 Fällen je 100.000 Soldaten ist die Suizidrate so hoch wie zuletzt 1981 – als die USA sich in keinem Krieg befanden, Reagan Präsident wurde und das Militärbudget erhöhte.

Aktuelle Militärstudien betonen, dass die Suizidrate amerikanischer Zivilisten mit einem vergleichbaren Hintergrund an Alter, Rasse und Herkunft zwischen 17 und 20 Selbstmördern pro 100.000 Menschen liegt. Das Pentagon nannte die jüngsten Zahlen „alarmierend“. Allerdings hätten sie nur „begrenzte Beweiskraft“, dass die Verlängerung des Frontdienstes von 12 auf 15 Monate und die Verkürzung der Zeit zwischen den einzelnen Auslandseinsätzen zu mehr Selbsttötungen führen.

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums leiden 20 Prozent der aktiven US-Soldaten an posttraumatischen Stresssymptomen. Rund 35 Prozent suchen nach ihrer Rückkehr Hilfe wegen körperlicher und seelischer Probleme. Die Armee habe kürzlich die Zahl ihrer Psychologen und Geistlichen um 25 Prozent erhöht. Zudem gebe es Kampagnen, damit Soldaten bei sich und ihren Kameraden Ängste und Depressionen erkennen und Hilfe suchen. Oft geschehe dies nicht, weil „schwache“ Soldaten um ihre Karriere fürchten.

US-Marines sind durchschnittlich 18,5 Jahre alt. Wenn sie in den Krieg geschickt werden, sind sie häufig „weder erwachsenen genug noch haben sie die sozialen Fähigkeiten, um mit schwierigen Situationen fertig zu werden“, sagt Veteran Larry Stratton in einer Studie auf der Website „Suicide Reference Library“. Zugleich wollen sie das Image eines „Hart-wie-Leder-Kriegers, unantastbar für Schmerzen“ erfüllen, „was es schwierig macht, über Probleme zu reden“. In einem neuen Video für Marines flüstert ein Soldat einem anderen zu: „Meine Frau hat mich verlassen, ich habe keinen neuen Job, mein Leben ist keine zwei Cent wert?“ Dann schwenkt die Kamera auf ein Poster: „Es ist O.K., Hilfe zu bekommen. Hilfe zu suchen ist ein Zeichen von Stärke“.KARIN DECKENBACH