Geschwisterschaft im Geiste

Greifbares Engagement ist den Twens allemal lieber als eine angreifbare Weltanschauung

VON CLAUDIA WENTE

Junge Leute wollen einfach nur ihren Spaß. So dachte man sich das wenigstens lange Zeit: Eine hedonistische Jugend, die auf Partys abhängt und sich weder als besonders ehrgeizig hervortat noch sich gar um gesamtgesellschaftliche Belange kümmern wollte. Doch die letzten beiden Shell-Jugendstudien belegen eine Trendwende. Journalisten sprechen von einem neuen Konservativismus. Werte wie Fleiß, Ordnung, Strebsamkeit und Familie erleben eine Renaissance.

Das klingt erst mal preußisch. Sollten in dieser Generation die große Rebellion der Achtundsechziger gegen ein konservatives Wertesystem und das „Atomkraft? Nein danke!“-Engagement der Achtziger in den großen Umweltfragen gleich mit enden? Die Antwort ist klar: nein.

Die Generation der Twens ist nicht unpolitisch. Sie ist anders politisch. Mit den tradierten Dualismen wie progressiv vs. konservativ, ökologisch vs. ökonomisch und links vs. rechts lässt sich ihr Engagement nicht mehr hinreichend beschreiben. Auf Differenziertheit und Flexibilität ihrer Perspektiven bedacht, wollen die Zwanzig- bis Dreißigjährigen die einstmals scharfen Konturen dieser Gegensatzpaarungen so klar nicht mehr sehen. Selbst Widersprüche dürfen sich in einer Person vereinen.

In den Medien heißt das dann „Generation Milchkaffee“ oder „… Unentschieden“. Etwas präziser beschreiben die Shell-Jugendstudien 2002 und 2006 die Twens mit einer Unterteilung in vier „Typen“. Sie sind in ungefähr gleichen Anteilen zu finden. Da sind die „selbstbewussten Macher“, die nach Macht, Ansehen und Verantwortung streben und dafür hohe Leistungen zu bringen bereit sind. Es gibt die „pragmatischen Idealisten“, die sich für humanistische und ästhetische Werte engagieren, wie auch die „robusten Materialisten“, die vor allem auf Spaß und die Befriedigung ihrer materiellen Bedürfnisse aus sind. Zuletzt die „zögerlichen Unauffälligen“, die mit dem Erfolgstempo der anderen nicht mehr mitkommen.

Relativ klar allerdings ist die Absage an das Engagement in den politischen Parteien. Die Jugendverbände der Parteien verzeichnen ein gravierendes Nachwuchsproblem, vor allem die großen Volksparteien CDU und SPD. Seit ihrem Höchststand im Jahr 1983 hat sich die Mitgliederzahl der Jungen Union auf heute 130.000 Mitglieder halbiert. Die Jusos haben sogar nur noch 56.000 Mitglieder von ehemals 300.000. Die viel beschriebene Politikverdrossenheit aber ist maßgeblich eine Parteienverdrossenheit. „Es besteht eine gewisse Scheu, in eine Partei einzutreten, besonders in Ostdeutschland“, sagt Tanja Bergrath (31), Bundesgeschäftsführerin der Jusos. „Die jungen Leute wollen zwar Inhalte unterstützen, aber eine lebenslange Verpflichtung nicht mehr eingehen.“

Weil die Twens wissen, dass es zu jeder Medaille eine Kehrseite gibt, wollen sie politisch aktiv nur dann werden, wenn sie „sich auch persönlich zugehörig fühlen“, wie die meisten Befragten der Shell-Studie bekannten. Nicht das Aufgehen in einer Gruppenideologie, einer kollektiven Weltauffassung ist damit allerdings gemeint. Das würde nur die Deutungshoheit über die eigene Identität einschränken und außerdem dazu führen, Entscheidungen mittragen zu müssen, die man innerlich nicht teilen kann. Noch sind die Parteien aber nicht ganz verloren. „In den Neunzigern gab es eine starke Individualisierungstendenz“, weiß Tanja Bergrath von den Jusos. „Das Gefühl, alles sei möglich, ein starkes Streben nach Selbstverwirklichung. Das war mit dem Einbruch der New Economy 2001 vorbei. Jetzt sind die Leute eher wieder bereit, sich zu binden, aber erst, wenn sie wirklich wissen, worauf sie sich einlassen, wenn sie sich nicht gleich vereinnahmt fühlen.“

Statt in Parteien engagiert sich die junge Generation jedoch lieber in Einzelfragen und projektbezogen bei den großen internationalen Organisationen wie amnesty international oder Greenpeace. Hier finden sich eindeutige Themen, für die sie sich ohne Wenn und Aber einsetzen kann. Hier muss sie nicht Entscheidungen gegen den eigenen Willen mittragen, weil es der Fraktionszwang gebietet. Wohl deshalb bilden hier Menschen unter dreißig mit vierzig bis fünfzig Prozent die stärkste Altersgruppe. Tendenz steigend.

Hier bedeutet die Globalisierung für junge Leute also auch eine Möglichkeit, wirkliche Grundfragen des Zusammenlebens zu verhandeln. Herausgelöst aus dem Klein-klein nationaler Parteienpolitik will man ein Gefühl von grenzenübergreifender „Geschwisterschaft im Geiste“ mit den internationalen Initiativgruppen. Ein Drang, der sich auch in den Themen der parteipolitisch engagierten Jugend spiegelt. Die nämlich decken sich, egal ob bei den Jusos oder der Jungen Union. Es sind durchweg die großen Herausforderungen unserer Zeit: die Globalisierung und der Arbeitsmarkt, Generationengerechtigkeit, Klimaschutz und der Kampf gegen Rechtsextremismus.

Vereint wird die Generation in der Angst, keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden und die eigenen Vorstellungen und Wünsche im Berufsleben nicht realisieren zu können. Dabei kommt der Globalisierung der verschärfende Aspekt der weltweiten Konkurrenz zu. Als Konsequenz hat die Jugend wildromantisches Träumen zu den Akten gelegt. Junge Leute sind heute realistisch genug, immer bereits einen Plan B in der Tasche zu haben, um nicht bei den Verlierern zu landen.

Werte wie Strebsamkeit, Fleiß, Ordnung und auch Familie tauchen dabei aus der Versenkung auf. Was konservativ klingt, ist in Wahrheit jedoch progressiv auf das Bestehen in der Zukunft ausgerichtet, ohne deshalb freiheitliche, engagierte und auf das Ganze gerichtete Werte der Achtundsechziger oder der Umweltbewegung aufzugeben. Man macht’s in aller Pragmatik: Wenn es mit dem ersten oder zweiten (Berufs-)Plan nicht klappt, weicht man eben auf andere Lebensbereiche aus: einen Partner finden, ein Kind zeugen. Überhaupt soll die Familie als Keimzelle und Rückzugsraum in einer unüberschaubar gewordenen Welt als kleinster gemeinsamer Nenner dienen, der so etwas wie bedingungslose Zugehörigkeit bietet. Als Modell empfiehlt sich Familie bei den Zwanzig- bis Dreißigjährigen auch deswegen, weil sie sie aus eigener Erfahrung als relativ konfliktfrei erinnern.

Und von der jeweiligen Peergroup wird dann Ähnliches wie von der Familie erwartet: Freundschaften sollen Rückhalt geben, erfüllbare Ansprüche stellen und die trostreiche Erfahrung bieten, nicht der Einzige zu sein, der im Alltag um die für den Gewinnertyp erforderliche Coolness ringen muss. Dabei scheinen Werte wie Loyalität und bedingungslose Freundschaft eine anachronistische Wiederkehr einer idealistischen Vorstellung von Freundschaft einzuläuten. Für die Generation der Differenz aber bieten sie schlicht die Möglichkeit, das Gefühl von oder den Wunsch nach Familiarität unter Freunden zu benennen.

Sie braucht sie auch deswegen so dringend, weil eben andere dauerhaften Zugehörigkeiten, etwa im Beruf zu einem Unternehmen, unwahrscheinlich werden.

CLAUDIA WENTE, Jahrgang 1974, engagiert sich für Schnittpunkt Berlin, Verein für Ausstellungstheorie und -praxis, Mischbrötchen und surreale Gedankenwelten. Sie lebt als freie Autorin in Berlin