DIE EINE FRAGE
: Fischer oder Schwan?

HELMUT SCHMIDT, HEINER GEISSLER, HANS-DIETRICH GENSCHER: BRAUCHEN DIE GRÜNEN AUCH EINEN ELDER STATESMAN?

Also, wenn es Helmut Schmidt nicht gäbe, hätte man ihn erfinden müssen. Beziehungsweise, Moment: Man hat ihn ja erfunden. Neu erfunden. Als Eldest Statesman. Das Kunststück gelang übrigens nicht der Zeit. Erfunden und inthronisiert wurde er durch das Fernsehen. Genauer gesagt von Sandra Maischberger, seinem rechtmäßigen First Groupie. Erst danach war er auch in der Zeit groß und sie durch ihn.

Der sozialpsychologische Hintergrund war das nach dem 11. September aufkommende Bedürfnis nach Leuten, die noch Pulverdampf gerochen haben. Helmut Schmidt (Zweiter Weltkrieg, RAF) hatte und wurde der omnikompetente Universalzuständige.

Mit ihm kamen noch mehr alte Männer zurück und deckten einzelne Zuständigkeitsgebiete ab: Egon Bahr die SPD-Nostalgie, Hans-Dietrich Genscher den Liberalismus und einen Prager Balkon, Heiner Geißler die aus linksliberaler Sicht gute CDU, Harald Martenstein den kritischen Genderdiskurs.

Ob sie sie einlösen oder eher nicht: Es gibt eine Sehnsucht nach Wissen jenseits des kurzatmigen Expertengefasels und des Auswendiglernens einer aktualistischen Parteiposition auf der Fahrt zum Studio. Größer formuliert: Sehnsucht nach jemand, der die Werte und Ziele, für die eine Partei oder Bewegung steht, in einem größeren Zusammenhang mit Weisheit und Menschlichkeit verknüpft. Und vielleicht ist das ja bereits die Antwort auf die Frage, warum es keinen Grünen Elder Statesman gibt.

Die Grünen werden jetzt die wohlmeinende Subtilität dieser Bemerkung nicht verstehen und stattdessen in einem korrekt antrainierten Automatismus einwenden, dass es, wenn überhaupt, auf jeden Fall eine Elder Stateswoman sein müsse.

Richtig. Unbedingt.

Aber Petra Kelly ist tot. Für Jutta Ditfurth sind die Grünen tot. Theresa Kalmer verfügt über herausragende Altklugheit und ist 91. Allerdings Jahrgang. Wenn man strikt grün denkt, wäre Simone Peter mit ihrem erfrischend saarländischen Lederjackenhintergrund sicherlich auch hier die naheliegende Besetzung. Aber eine allein geht ja auch nicht, wegen der unterschiedlichen Lebensentwürfe und Positionen zu progressivem Radikal-Ehegattensplitting und pazifistischen Bodentruppen in der linken Jogamatten-Mitte oder worum es gerade wieder geht.

Es stellt sich hier auch das Problem, dass die andere Partei anders mit ihren Führungsfiguren umgeht als andere, nämlich noch schlechter. Das ist menschlich schwer zu ertragen und in einigen Fällen auch ein großer inhaltlicher Verlust. Die grüne Regel aber lautet nun mal: Je zentraler einer war, desto länger und biestiger wird nach seinem Abgang schlecht über ihn geredet.

Insofern kann kein Zweifel bestehen, dass der Elder Statesman der Grünen Joschka Fischer sein müsste. Fischer ist deutsche Geschichte und hat deutsche Geschichte gemacht, er hat Weltgeschichte mitgemacht, auch mal kritisch („I am not convinced“). Pulverdampf hat er auch gerochen. Aber für den Weltriesenstaatsmann Fischer sind die Grünen zu popelig. Sie würden ihn kleiner machen. Gleiches gilt für Daniel Cohn-Bendit, den amtierenden Elder Statesman eines progressiven Europa – von den Pariser Barrikaden von 1968 zu einer zukünftigen Europäischen Union der Bürger.

Tja. Bleibt eigentlich nur noch Gesine Schwan. Die passt sehr gut zu den Bundesgrünen, weil sie auch keine Öko ist. Allerdings ist sie intellektuell und manchmal SPD-kritisch, das könnte ein Problem sein.

PETER UNFRIED IST TAZ-CHEFREPORTER