PETER UNFRIED NEUE ÖKOS
: CO2, du blöde Schlampe!

Kalifornierinnen schalten ihren Motor nicht ab, wenn sie sich einen Kaffee holen. Die Macht ist empört

Kaliforniens Sonne stand im Zenit und auch sonst war High Noon, denn die Macht bebte vor Wut. Wir hatten grade noch so nett vor dem „New Leaf“-Biosupermarkt rumgelungert. Und dann war eine Frau ihres Alters rausgekommen, gut angezogen und uns nett anlächelnd, aber das ist ja eh klar. Sie freute sich halt des Lebens. Und das mit Recht, denn sie hatte sich grade einen schönen, gesunden Salat aus kalifornischem Bioanbau gekauft. Was? Ja, abwarten. Dann setzte die sich also in ihr Auto, startete die Zündung und fing doch tatsächlich an, ihren Salat zu essen. Bei laufendem Motor.

„Du blöde Schlampe“, zischte die Macht.

Eigentlich sagte sie noch was ganz anderes, weshalb Penelope und Adorno sofort hysterisch zu kichern anfingen. Sie kichern immer bei solchen Worten, zum Beispiel, wenn wir sie in einen Film mitnehmen, vor dem uns die Ticketverkäuferin streng warnt, weil er „Rated R“ und „inappropriate“ sei, also völlig unangemessen für Zwölf- und Zehnjährige.

Es ist offenbar eine Gewohnheit der kalifornischen Gesellschaft, lange vor dem eigentlichen Vollzug des Autofahrens bereits das Ausstoßen von Emissionen sicherzustellen. Wenn sie jemanden anrufen, dann tun sie es nicht, bevor sie ins Auto steigen. Sondern sie steigen ins Auto, schalten den Motor an, steigen aus und telefonieren dann im Stehen. Wenn sie vor einem Kaffeehaus parken, dann stellen sie nicht den Motor ab und erzählen dann ihrer Begleitung ihre furchtbar wichtigen Geschichten. Nein, sie parken ein und reden dann erst noch eine Viertelstunde bei laufendem Motor, bevor sie ins Café gehen. Wenn sie ihren Kaffee to go holen, dann schalten sie den Motor erst gar nicht aus. Und wenn man ungünstig rumsteht, erzählen sie einem auf dem Rückweg noch ihre Lebensgeschichte inklusive erweiterterter psychiatrischer Krankheitsanamnese. Während der Auspuff raucht! Schlimm.

Nicht, dass wir uns jetzt missverstehen: Penelope, Adorno und ich konnten auch nicht begreifen, warum man sich hier sorgt, dass harmlose Fummelszenen im Kino unsere Kinder bedrohen, die Klimaerwärmung aber offenbar nicht. Doch wie das so geht: Obwohl wir es als eklatante kulturelle Verwahrlosung empfanden, hatten wir uns an die laufenden Motoren fast schon gewöhnt.

Die Macht fing aber grade erst an, sich richtig reinzusteigern. „Daran werde ich mich nie gewöhnen“, schrie sie und dass diese Frau ja wohl total bescheuert und halbdebil sei und dergleichen.

Früher war sie ja noch zu jedem Auto mit laufendem Motor gerannt und hatte den Fahrer zusammengeschissen. Dann aber hatte ein Sozialpsychologe mal gesagt, sie wolle damit ja gar nicht dem Klima helfen, sondern bloß ihre eigene Aggressionen loswerden. Das stimmt so sicher nicht. Aber seitdem kriegten wir es ab.

Ich bin ja der Meinung, dass es zunächst darum geht, selbst seinen Motor auszuschalten, bevor man den Bescheuerten sagt, dass sie ihn gefälligst auch ausmachen sollen. Aber einmal ließ ich doch tatsächlich unseren Prius noch laufen, obwohl wir schon standen, und sagte auf einen entsprechenden Anschiss auch noch störrisch: „When in Rome, do as the Romans do.“

Gut, es war der Elektromotor. Trotzdem muss ich mit heutigem Abstand sagen: Das war falsch und vollkommen inakzeptabel.

Der Autor ist taz-Chefreporter Foto: Anja Weber