Komm, wir zeigen’s uns

Das Private ist beredt, auch wenn es unspektakulär ist. Der internationale „Home Movie Day“ führte diesmal Erinnerungen der Berliner vor, häufig auf Super 8 gedreht

VON JENNIFER ZYLKA

Der Mann im Publikum hält sich am Mikrofon fest wie ein verunsicherter Schlagersänger und kommentiert im etwas spröden Timbre eines Akademikers die flimmernden Bilder. Vorne, in einem kleinen, rechteckigen Feld auf der Leinwand, klettern lautlos fünf Männer im besten Alter auf einer Segeljolle herum, trinken Wein, sonnen sich, pinkeln ins Meer. Vor zwanzig Jahren hatte der Mann einen Segeltörn auf Super 8 gebannt, eigentlich für seine eigene Erinnerung und vielleicht noch für die der Mitsegler. Doch beim „Home Movie Day“, der weltweit zum fünften Mal, aber erstmals auch in Berlin stattfindet, wurden solche privaten Reminiszenzen öffentlich gemacht: Die AmateurfilmerInnen konnten am Samstag ihr Material auf Super 8, Normal 8 und 16 mm im Filmmuseum am Potsdamer Platz abgeben, bekamen eine Nummer, warteten.

„Schon um halb zwölf standen hier Leute mit ihren Plastiktüten“, sagt eine Pressemitarbeiterin des Museums. Im Zuschauerraum des Saals im vierten Stock sitzen größtenteils Menschen, die das große Super-8-Zeitalter der 50er- bis 80er-Jahre bereits als Erwachsene miterlebt haben, und warten geduldig, bis ihr eigenes Filmchen läuft. Nach dem Segler, der außer einer Verbrennung, die der „Smut“ des Schiffes sich an den Weichteilen zuzog, eigentlich nichts wirklich Aufregendes zu bieten hatte, wallt höflicher, verständiger Applaus auf.

Der nächste Kandidat heißt Eyrhan und hat die Filme vom Flohmarkt. Er fände es schade, sagt er ins Mikrofon, dass solche privaten Dokumente und damit die Erinnerung an einen Menschen auf einem Trödeltisch landen, und habe sie darum gekauft, aber noch nicht sichten können. Auf der Rolle sieht man den Westberliner Zoo – der oder die unbekannte RegisseurIn hat in den späten 50ern auf schwarz-weißem Material jede Ziege abgefilmt, auch jede Möwe, dazwischen füttert eine elegante Dame in Petticoat und mit weißer Perlenkette die Elefanten.

Eine andere Amateurfilmerin war früher Mitarbeiterin auf der Trabrennbahn Karlshorst und zeigt mit unverhohlenem Stolz ihre Aufnahmen aus den 80ern, auf denen Helga Hahnemann neben den gestriegelten Trabern Wetten abschließt und Erich Honnecker aus der Ehrenloge freundlich die Zähne bleckt. Ein paar Publikumsfachfragen über das Material, auf dem man im Osten gedreht hat, beantwortet sie dankbar – man ist hier unter Gleichgesinnten. Und natürlich ist auch die Frage des Archivierens des zerfallenden Films auf DVD ein Topthema.

Der Initiator der Veranstaltung, Andreas Busche, macht zwischendurch kurze Ansagen, bedankt sich bei den EinreicherInnen, vermeidet es aber wohlweislich, irgendwelche geschmäcklerischen Kommentare abzugeben. Obwohl man sich den Nachmittag mit nur einer minimalen Änderung im Ton auch hervorragend als Comedyshow hätte vorstellen können.

Ein junges Mädchen zeigt den Film, den die Oma ihres Freundes 1958 auf der Weltausstellung in Brüssel gedreht hat, und über die Leinwand laufen wunderbare Bilder von einem noch schnieke glänzenden Atomium und aufgeregten Kindern in kurzen Hosen. „Das neue Heim“ heißt ein anderer Film, in dem die ganze Familie samt Sittich und Hund in die neunte Etage eines Plattenbaus zieht und die Verfasserin begeistert auf die staubigen Baustellen ringsherum hält.

Trotz der Atmosphäre eines kollektiven Diaabends bei den Schwiegereltern ergeben die kurzen Filme einen rührenden Rahmen für die Erinnerungen der BerlinerInnen ab. Man erfährt gerade in der Langweiligkeit der meisten Motive sehr viel über Land und Leute: So sind se, unsere Eltern, Bekannten und Verwandten, so sind wir alle aufgewachsen, samt Sittich, besserwisserischen Onkel und Sonntags-Zoobesuchen mit Ziegenfüttern. Und war’s nicht schön damals, als Vatis Bart noch rot, der Potsdamer Platz noch Brachland und der Tapir noch ein aufregendes Tier war? Aus anthropologischer Sicht ist so ein Home Movie Day jedenfalls ein Festessen.