Ganz staatstragend

OPPOSITION Die SPD will zustimmen – Parteichef Gabriel erinnert sich sehr flexibel

BERLIN taz | Die SPD-Fraktion wird der Ausweitung des Eurorettungsschirms am 23. September zustimmen. Man müsse erst die Details kennen, ist aber willens, Ja zu sagen. Das ist eine beruhigende Nachricht für Angela Merkel – denn ganz sicher ist die schwarz-gelbe Mehrheit für die Eurorettung nicht. Man munkelt von 23 Dissidenten, 20 Abweichler würden reichen.

Diese brüchig wirkende Mehrheit ist eigentlich eine verlockende Lage für die Opposition. Und folgt man SPD-Chef Sigmar Gabriel am Montag im Berliner Willy-Brandt-Haus, dann ist der Kredit der Regierung in Sachen Euro längst verbraucht. „Man nähert sich ja Beleidigungen, wenn man nur beschreibt, was diese Regierung tut“, so Gabriel. Man müsse angesichts dieser Wechselhaftigkeit der Regierung im Sekundentakt vergessen können. Und doch wird die SPD für den erweiterten Rettungsschirm stimmen. Denn, so der SPD-Chef: „Wir wollen keine parteipolitischen Spielchen.“

Das war nicht immer so. Bei der ersten Griechenland-Finanzstütze im Mai 2010 enthielt sich die SPD, weil die Union die Finanztransaktionsteuer boykottierte. Diese Enthaltung, so hört man aus SPD-Kreisen, war „ein taktischer Winkelzug von Gabriel“. Im SPD-Präsidium warb Gabriel noch vor Kurzem dafür, beim nächsten Eurorettungsschirm mit Nein zu stimmen. Damals hielt Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier dagegen, der die Verlässlichkeit der SPD in EU-Fragen gefährdet sah.

Heute klingt Gabriel genauso. Europa müsse wissen, „dass bei einem Regierungswechsel, der ja 2013 sehr wahrscheinlich ist, keine komplett andere Politik gemacht wird“, so der SPD-Chef.

Auf die Frage der taz, was sich denn seit Mai 2010 so grundlegend verändert habe, dass die SPD-Fraktion nun zustimmen will, sagte Gabriel sinngemäß: von einem abrupten Wechsel könne keine Rede sein. Dazwischen sei, so Gabriel während der Pressekonferenz, ja noch ein Rettungspaket verabschiedet worden, mit Unterstützung der SPD.

Das ist falsch. Beim zweiten Griechenland-Paket, das vor zehn Wochen, am 10. Juni 2011, den Bundestag passierte, hat die SPD-Fraktion nicht zugestimmt. Sondern sich, wie 2010, enthalten. Erstaunlich, wie flexibel das Gedächtnis von Sigmar Gabriel sein kann. STEFAN REINECKE

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