Außer Atem

Fast gelingt dem Zweitligaaufsteiger SV Wehen Wiesbaden ein Sensatiönchen gegen Meister Stuttgart

MAINZ taz ■ Eine gute Viertelstunde war gespielt, Stürmer Atem hatte gerade die erste große Chance für den SV Wehen Wiesbaden im DFB-Pokalspiel gegen des VfB Stuttgart verstolpert, da fiel der Blick auf die Anzeigetafel: „SVWW 0, VfB 1“ stand da, obwohl noch gar kein Tor gefallen war.

Es passte zur Außendarstellung des Zweitliga-Neulings, der in der Saisonvorbereitung mit einigen kuriosen Aktionen für Kopfschütteln gesorgt hatte. So war beim zeitlich ohnehin knapp kalkulierten Stadionneubau in Wiesbaden ein ganzer Monat ins Land gezogen, ohne dass die Bagger an die Arbeit gegangen waren. So richtete der Club ein Fanfest mit Spielern aus, hatte aber weder Teamposter noch Autogrammkarten dabei. Auch gab es in der ganzen Stadt keine dauerhafte Vorverkaufsstelle, sondern immer nur stundenweise Ticketaktionen in verschiedenen Geschäften.

Trotzdem schafften es rund 15.000 Zuschauer am Samstagabend bei bestem Fußballwetter zum Pokalspiel gegen den amtierenden Deutschen Meister ins Ausweichstadion am Mainzer Bruchweg. Und das, obwohl der Neuling kaum zwei Dutzend organisierte Fans hat. Die meisten Zuschauer kamen, um mal zu sehen, was das eigentlich für ein Verein ist, der da mit zwei Namen hantiert und seine ersten vier Heimspiele in drei verschiedenen Stadien austrägt (erst Mainz, dann Frankfurt und dann endlich Wiesbaden). Ob der SV Wehen Wiesbaden noch die Dorfmannschaft aus dem Taunus ist? Oder schon der Stadtverein aus der edlen Landeshauptstadt? Oder doch einfach nur ein Retortenclub, der mit den Millionen eines Großsponsors nach zehn Jahren Regionalliga-Geschaukel den Aufstieg nicht mehr vermeiden konnte?

Auf dem Platz zeigte der Was-auch-immer-Club gegen den insgesamt enttäuschenden VfB Stuttgart eine engagierte Vorstellung, hielt die Partie dank konzentrierter Abwehrarbeit über weite Strecken ausgeglichen, und witterte zeitweise sogar einen Überraschungscoup. Dabei entwickelte sich die Partie in der zweiten Hälfte nach und nach in einen heftigen Pokalfight. Erst leistete sich Gledson eine Tätlichkeit gegen Atem und sah Rot (48). Kaum war der Stuttgarter Neuzugang vom Feld geschlichen, hämmerte Catic den fälligen Freistoß in die Maschen (49.). Kurz danach hätte Atem freistehend das 2:0 erzielen müssen, schloss den Konter aber mit einem halbherzigen Heber ab. Pech für Wehen, dass Torwart Masic wegen einer Notbremse gegen Marica ebenfalls vom Feld (57.) musste. Ersatzmann Richter hatte noch keinen Ball gefangen, da sah er sich nach Foul von Schwarz an Marica einem Strafstoß gegenüber, den Hilbert verwandelte (63.). In der Schlussphase kassierte Meira (85.) nach einem Ellenbogencheck gegen Siegert die dritte Rote Karte der Partie. Doch damit nicht genug. Schiedsrichter Brych ahndete ein weiteres Vergehen von Schwarz im Strafraum mit Gelb-Rot (90.), und Hilbert verwandelte den äußerst umstrittenen Strafstoß in der Nachspielzeit zum Siegtreffer.

„Man hat gesehen, wie bitter auf dieser Ebene Fehler bestraft werden“, sagte Wehens Manager Hübner, der davon ausging, dass die Mannschaft jetzt im Profibereich angekommen sei – womit er auch das Team hinter dem Team gemeint haben könnte. Denn dort herrschte im Vorfeld größeres Durcheinander als auf dem Platz. Hübner, der offenbar wie in alten Amateurtagen vor sich hin gewurschtelt hatte, bekam kurz vor Saisonstart den Präsidentensohn Hankammer Junior vor die Nase gesetzt. Der übernahm den vakanten Posten des „Vizepräsidenten Recht“ und leitet nun die Geschäfte. „Eine klasse Lösung“, erklärt Hübner, der sich davon nicht entmachtet sieht. Kommunikationschef Scharrer wurde an einem Tag entlassen und am nächsten als Berater wieder eingestellt. Er grüßte beim Pokalspiel als „Gesamtverantwortlicher“. Und da Trainer Hock keine Lizenz hat, darf er nur als Assistent agieren. Extrainer Vasic, der eigentlich den Sportdirektor geben sollte, muss als Chefcoach fungieren.

Immerhin macht der Pokalauftritt Mut für die Zukunft: Als Catic den Führungstreffer erzielt hatte, lag der Ball noch im Netz, als die Anzeigetafel schon das 1:0 verkündete – und zwar für die richtige Mannschaft. Man lernt doch schnell beim Neuling aus Wehen-Wiesbaden-Mainz- Frankfurt. ACHIM DREIS