LESERINNENBRIEFE
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Kitt wird mit der Zeit spröde

■ betr.: „Bunte Unterschicht“ von Christian Semler, taz vom 19. 8. 11

Christian Semler beklagt angesichts der Randale in Großbritannien das Fehlen des „normativen Kitt(s), der die Gesellschaft über Klassengrenzen hinweg zusammenhält“. Leider nennt er nicht die Eigenschaften oder Zutaten dieser interessanten neuen soziologischen Materie. Sollte es etwa die Gewaltlosigkeit sein oder der Respekt vor dem Eigentum anderer? Es ist anzunehmen, denn gegen diese Kategorien wurde ja heftig und häufig verstoßen.

Was hat es nun mit der Gewalt in einer Gesellschaft auf sich? Nun, alle bisherigen Gesellschaftsordnungen beruhten auf ihr, genauer: auf ihrer Monopolisierung durch den jeweils herrschenden Teil. Das ist heute nicht anders als vor hundert oder tausend Jahren. Interessante Einzelheiten dazu sind nachzulesen bei Friedrich Engels. Freilich erlebt man im Arbeitslosenmilieu Tottenhams oder in einer Migrantenfamilie in der Banlieue diese Gewalt anders als im journalistischen Universum Berlins. Hunger schmeckt anders als die wohlgefüllte Zigarettenpackung, der Polizeiknüppel fühlt sich anders an als die Computertastatur. Das Sein bestimmt halt das Bewusstsein.

Das Eigentum anderer zu respektieren, um auf die zweite Komponente des „Kitts“ zu kommen, ist wohlfeil, wenn man selber genug hat. Hier und heute jedoch wird Reichtum geschaffen, der auf der Expropriation derjenigen beruht, die die Werte schaffen. Und genau diese Expropriateure sind es, die in unbändiger Gier und in milliardenfach größeren Dimensionen als in den geplünderten Geschäften in London etc. täglich sich fremdes Eigentum aneignen. Auch dieser Prozess und seine Gesetzmäßigkeiten sind bei einem sachkundigen Autoren namens Karl Marx nachzulesen. Sie sind auch in der Realität spürbar – Tottenham ist nahe der City, allerdings sind die Einkommen der Plünderer weit entfernt von denen der Bankiers dort – und auch noch weit genug von Berliner taz-Autoren. Glaser wissen, dass Kitt mit der Zeit spröde wird. Mit Rotlicht lässt er sich leicht entfernen! HEINER ZOK, Schiffdorf

Ein Irrtum wie viele andere

■ betr.: „Katholische Kirche. Ich mag das Wort Krise nicht“,taz vom 20. 8. 11

Vom schwarzen und reichen Köln ins rote und arme Bistum Berlin! Das ist eine schwierige Aufgabe für den neuen Erzbischof Rainer Maria Woelki, kann ich mir vorstellen. Er sieht zwar etwas grün-witzig aus und nahbar, aber im Grunde wird er erzkonservativ sein (müssen). Seine Forderung, am Zölibat festzuhalten, deutet darauf hin. Das ist wohl zur Kernfrage oder Überlebensfrage der römisch-katholischen Kirche geworden. Welcher junge Mann mag diese Auflage noch akzeptieren? Meines Wissens ist der Zölibat im 11. Jahrhundert erst Kirchenrecht geworden, er ist kein Gottesgesetz! Also nur ein Irrtum wie viele andere in Rom? Galileo Galilei: Und sie dreht sich doch! HANS SIMMELBAUER, Passau

Kostengünstige Batteriespeicher

■ betr.: „Die Zukunft beginnt jetzt“, taz vom 22. 8. 11

Vielen Dank für den hervorragenden Beitrag, der die Situation, in der wir uns befinden, auf den Punkt bringt. Nur in einem sind die Herren Boris Palmer und Franz Untersteller nicht ganz aktuell informiert: Batteriespeicher für den festen Standort sind sehr viel kostengünstiger als für Pkws. In Kürze werden sie für 300 Euro pro kWh Speicherkapazität auf den Markt kommen, mit einer Lebensdauer von 30 Jahren. Damit könnten Stromspitzen von PV-Anlagen von Dächern auf Privathäusern und Gewerbehallen weggespeichert und zu Bedarfszeiten ins Netz gespeist werden. Dafür muss Speicherstrom entsprechend vergütet werden, die Regeltechnik wäre kein Problem.

ANITA SCHWAIER, Angermünde

Das wäre kein Schreckensszenario

■ betr.: „Die europäische Katastrophe“, taz vom 20. 8. 11

Eindringlich warnt Bettina Gaus vor einem Ausstieg aus dem Euro und den Folgen für alle, „vom Kellner bis zur Bauunternehmerin“. Doch diese Wir-sitzen-alle-in-einem-Boot-Rhetorik ist unangebracht. Viele deutsche Unternehmen und Banken haben dank der Währungsunion mit wirtschaftsschwachen Ländern glänzende Geschäfte gemacht – auf Kosten eben dieser Länder. Die Durchschnittsbürger haben rein gar nichts davon gehabt, dürfen jetzt aber die Rettung des Euro finanzieren. Zukünftig weniger deutsche Exporte, dafür angemessene Löhne und Unternehmenssteuern wie vor 2001, das wäre kein Schreckensszenario, sondern wünschenswert.

FRANK SCHNIEDER, Osnabrück

Linke gegen Schuldenbremse

■ betr.: „Merkels Beruhigungspille“, taz vom 18. 1. 11

Auch wenn ich den Kommentar von Herrn Schulte gut und treffend finde, in einer Hinsicht hat er nicht recht. Er spricht davon, dass die Schuldenbremse hierzulande parteiübergreifend als eine Art Wundermittel vorausschauender Haushaltsdisziplin gelte. Dem ist aber nicht so; die Partei Die Linke hat sich immer gegen eine Schuldenbremse ausgesprochen. Was für die Verschuldung eines Privathaushaltes gilt – hier kann eine selbst auferlegte Schuldenbremse sinnvoll sein –, darf auf keinen Fall auf die Schuldensituation einer ganzen Volkswirtschaft angewandt werden. Dies auf Volkswirtschaften angewandt, führt unweigerlich in eine Katastrophe.

MANFRED FRIES, Vecheld