Krähe und Samenbombe

UTOPIEN Nach dem guten Leben ohne Ressourcenverschwendung suchte das Festival Über Lebenskunst

VON NINA APIN

Einladend blubbert ein Whirlpool im Zehlendorfer Waldsee. Daneben weist ein Wirtshausschild den Weg in ein von roten Bojen begrenztes Geviert. Der „Fish Spa“ hat am Samstagmorgen noch Plätze frei, das Wasser ruht. Geht es nach Susanna Hertrich und Michiko Nitta, dann soll es hier bald wimmeln vor erholungsbedürftigen Fischen, die dem Trubel aus Ausflugsdampfern, Sportbooten und Angelruten entfliehen wollen.

Die beiden Künstlerinnen haben eine Utopie vom gleichberechtigten Zusammenleben von Mensch und Wildtier in der Großstadt entworfen. Im Garten des „Hauses am Waldsee“ steht neben dem „Fish Spa“ auch ein Baum für Krähen, die durch das Fressen von Samenbomben zu „Service-Krähen“ werden sollen: Durch das Verteilen der Pflanzensamen werden aus den viel geschmähten Tieren nützliche Mitglieder der Gesellschaft. Einem pädagogischen Gedanken folgt auch der große Weidenkokon, der auf einem Pfahl an die Hauswand gelehnt ist. Durch das Wohnen in Menschennähe soll sich die „Parallelgesellschaft“ der Zugewanderten, etwa von Waschbären, ins Stadtbild integrieren. Lustigerweise sieht der Kokon aus wie die tierische Variante des benachbarten „Loft Cube“, der als Wohnutopie für Menschen gedacht ist.

Die Installation „Berliner Wildes Leben“ ist eine von 14 Initiativen im Berliner Stadtraum, die vom Festival Über Lebenskunst gefördert werden – als Beispiele für Kunst, die sich dem Nachhaltigkeitsgedanken verpflichtet. Im Haus der Kulturen der Welt schöpfte das Festival vier Tage lang von Fachkonferenzen über Performance bis zum Schulunterricht sämtliche Formen der Vermittlung aus. Beim Berliner Aktionstag am Samstag sollte es dann ganz konkret zugehen. Unter dem Motto „Da mach ick mit“ zeigten Initiativen, wie sich Berlin dem Klimawandel und dem Problem der schwindenden Ressourcen stellen könnte. Vom Trash bis zur technisch ausgefeilten Energiesparlösung ist so ziemlich alles dabei.

Schweinefleisch-Sushi in Kreuzberg

In der Kreuzberger Eisenbahnmarkthalle hat sich zwischen leeren Marktständen und Discountern ein Sushi-Restaurant breitgemacht. „Sustainable Sushi“ nennen die Macher ihre Kreationen aus regionalen Zutaten. Am runden Tisch schwimmen auf einem Wasserkanal Kohlrabi-Sushi, Bacon-Maki und Reh-Nigiri vorbei. Die schneeweiße Installation wirkt wie ein Ufo. Die Wurstesser vom Imbissstand nebenan beäugen aus sicherer Entfernung das Treiben der jungen Künstler. Das Unbeholfene – die Sushi-Flöße brauchen ab und an einen herzhaften Schubs, um sich nicht zu verkeilen, der „Wirt“ vergisst Servietten und Stäbchen – hat Charme. Und das die Meere schonende Schweinespeck-Sushi, kreiert vom Betreiber der Gastro-Galerie Zagreus Projekt, schmeckt vorzüglich.

Mit der Frage im Bauch, ob das jetzt Kunst war oder eine gute gastronomische Idee, geht es weiter in die Prinzessinnengärten. Die Stadtgärtner, die auf einer Brachfläche Kräuter und Gemüse ziehen, fungieren als Treffpunkt für diverse Touren durch den Stadtraum. Die Prinzessinnengärten sind aber keine Nachbarschaftsinitiative, sondern ein Verein, der mit Bewirtung und Pflanzenverkauf Geld verdient. Auf die Idee eines selbst organisierten Nachbarschaftsgartens im Hinterhof kam dann einer der Betreiber – eine Tour führt durch seinen „Initiativgarten“.

Überraschender verspricht eine Tour nach Neukölln zu werden. Dort haben Künstler einen U-Bahnhof mit Windrädern zum Minikraftwerk umfunktioniert. Nur eine Frau vom französischen Kulturministerium fährt mit auf diese U-Bahn-Tour und erzählt, dass sie in der Vorauswahljury für einige Projekte war. Und insgesamt eher skeptisch ist.

Energie sammeln in Neukölln

Am U-Bahnhof Neukölln wartet Edda Kapsch von der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst, die das Projekt „Neighbourhood Satellites Energy Harvests“ kuratiert hat. Während der Luftzug der an- und abfahrenden Bahnen zehn an der Decke installierte Windräder antreibt, erklärt Kapsch die Idee, städtischen „Energieabfall“, der beim Betrieb von Bahnen, Leuchtreklamen oder Klimaanlagen entsteht, zu ernten und allen zugänglich zu machen. Demonstrativ ignoriert von den BVG-Beamten, in deren Häuschen der Transformator steht, packen die Designer Myriel Milicevi und Hanspeter Kadel selbst gebastelte „Energy Harvester“ aus. Ein Holzkästchen mit Solarzellen, mit Saugnäpfen an ein Küchenfenster oder eine U-Bahn-Lampe geklebt, lädt verblüffend schnell eine Akkuzelle, mit der man dann einen Wecker oder eine Fernbedienung betreiben könnte.

Die Französin strahlt. Mitten in die schöne Utopie platzen Lautsprecherstimmen: Ein kräftiger Luftstrom hat aufgenommene Interviews mit Künstlern und Energieforschern sehr laut werden lassen.

Noch lauter sind allerdings die Hundebesitzer, Teenies und der Polizist, der im Laufschritt jemanden bis zum Ausgang verfolgt. Die „Energy Harvest“-Installation ist intelligent – aber ihre selbst formulierte Utopie, im „urbanen Raum“ die Menschen zu erreichen, kann sie nicht einlösen. Trotz der ins Türkische übersetzten Wandzeitung: Sprache und Präsentation sind zu akademisch, um das Anliegen heim nach Neukölln zu bringen.