Der Rabbi und der Koch

GLAUBE Jehuda Glick ist einer der bekanntesten orthodoxen Juden. Er will auf dem Tempelberg beten dürfen. Seit den Schüssen auf ihn vergeht in Jerusalem kaum ein Tag ohne Gewalt. Rekonstruktion einer Tat, die Israel an den Rand eines Religionskriegs gebracht hat

■ Der Ort: Jerusalem steht im Zentrum des israelisch-palästinensischen Konflikts. Die Juden sehen es als unteilbare Hauptstadt an. Die Palästinenser wiederum beanspruchen Ostjerusalem, das auf Arabisch al-Quds genannt wird, als ihre künftige Hauptstadt. Brennpunkt der Spannungen ist der Tempelberg. Hier liegen die großen Heiligtümer von Juden, Muslimen und Christen, darunter der Felsendom und die Al-Aksa-Moschee. Die Stadt ist seit Monaten Schauplatz von Gewalt.

■ Die Gewalt: Begonnen hatte alles im Juli. Nachdem drei Talmudschüler von Palästinensern verschleppt und ermordet worden waren, entführten jüdische Extremisten einen arabischen Teenager und verbrannten ihn lebendig. Wenige Tage nach den Schüssen auf Jehuda Glick töteten im November Palästinenser fünf Menschen in einer Synagoge. Zudem wurde ein 30 Jahre alter Texaner festgenommen. Er soll einen Terroranschlag auf ein muslimisches Heiligtum geplant haben.

AUS JERUSALEM MARLENE HALSER
(TEXT) UND KOBI WOLF (FOTOS)

Es ist kurz nach 22 Uhr und längst dunkel in Jerusalem, als Rabbi Jehuda Glick am Abend des 29. Oktober das Menachem-Begin-Zentrum verlässt. Laternen tauchen die Straße in diffuses oranges Licht. Die Nacht ist kühl. Vor den Kalksteinmauern des Tagungszentrums lädt Glick sein Gepäck in den Kofferraum seines Wagens.

Ein Motorroller nähert sich. Er fährt dicht an den Wagen des Rabbis heran und hält. Der Fahrer trägt einen Helm. Seine Jacke ist schwarz.

„Bist du Jehuda Glick“, fragt der Mann auf dem Roller. Zeugen werden später sagen, er habe Hebräisch mit einem „dicken arabischen Akzent“ gesprochen. „Ja“, antwortet der Rabbiner. Der Mann richtet seine Waffe auf Glick, eine 9-Millimeter-Pistole. „Es tut mir sehr leid, aber ich habe keine Wahl, du bist der Feind von al-Aksa“, sagt er. Al-Aksa, die Moschee. So wird sich Glick daran erinnern.

Dann schießt der Mann – vier mal hintereinander. Die Kugeln durchschlagen Glicks Lungenflügel, seine Kehle, eine Hand und einige Rippen. Der Roller fährt davon.

Wenig später rast die Nachricht über die Ticker: „Anschlag auf jüdischen Aktivisten“, „Neue Spannungen in Israel“, „Tempelberg nach Anschlag geschlossen“.

Jehuda Glick, 49 Jahre alt, liegt da schon auf der Intensivstation. Er überlebt schwer verletzt. Moatas Hidschasi aber, der Palästinenser, von dem die Polizei sagt, dass er Glick töten wollte, erlebt den nächsten Tag nicht mehr.

In den Wochen danach wird die israelische Polizei arabische Israelis töten, Palästinenser werden Israelis niederstechen, und Ende November werden zwei Männer aus Ostjerusalem eine Synagoge stürmen und vier Betende töten. Es wird dabei oft um den Tempelberg gehen, mit der Al-Aksa-Moschee und dem Felsendom der am meisten umkämpfte heilige Ort der Welt.

Schon einmal, im September 2000, ließ ein Ereignis auf dem Tempelberg die Gewalt eskalieren. Damals besuchte der spätere Ministerpräsident Ariel Scharon den Ort. Mehr als 1.000 Polizisten begleiteten ihn. Er löste damit die zweite Intifada aus, den palästinensischen Aufstand gegen Israel. Vierzehn Jahre später fürchten viele die nächste Intifada. Und schlimmer: dass aus dem politischen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ein Religionskrieg wird.

Jehuda Glick, mit seinem wuchernden roten Vollbart und der bescheidenen randlosen Brille, ist eines der meistfotografierten Gesichter einer Bewegung von Ultraorthodoxen, die das biblische Land einschließlich des Westjordanlands und des Tempelbergs für sich beansprucht. Er kämpft seit Jahren dafür, dass auch Juden auf dem Tempelberg im Südosten der Jerusalemer Altstadt beten dürfen. Muslime nennen den Berg Haram asch-Scharif, erhabenes Heiligtum.

Manchmal war Glick 16-mal in einer einzigen Woche dort, geschützt von Polizisten. Er zieht den Hass gläubiger Muslime auf sich, die nicht akzeptieren wollen, dass die israelischen Besatzer nun auch noch Anspruch auf den Ort ihrer Al-Aksa-Moschee erheben.

An jenem kühlen Abend im Oktober trifft der Rabbi im Restaurant des Begin-Zentrums zufällig auf einen Menschen, der wie er nicht in Israel groß wurde. Glick wuchs in den Vereinigten Staaten von Amerika auf. Der Koch Moatas Hidschasi, 32 Jahre alt, in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Zwölf Jahre saß Hidschasi später in israelischen Gefängnissen. Zuerst sechs Jahre wegen Brandstiftung. Zweimal wurde seine Strafe verlängert, weil er Wärter verletzt haben soll. Die israelischen Behörden führen ihn als Mitglied der Terrororganisation „Islamischer Dschihad“.

Moatas Hidschasi ist 14 Jahre alt, als er nach Jerusalem kommt, in eine Welt, die er bislang nur von Verwandtenbesuchen kennt, und deren Sprache, Hebräisch, er nicht versteht. Sein Vater hatte als Ingenieur in Israel keinen Job gefunden. 21 Jahre war er bei einer japanischen Baufirma in den Emiraten angestellt. Erst als der israelische Staat 1995 verfügt, dass alle Palästinenser, die in Ostjerusalem gemeldet sind, die Staatsangehörigkeit verlieren, wenn sie gerade außer Landes leben, kehrt die Familie zurück.

Jehuda Glick wächst in New York auf, in einer Familie orthodoxer Juden. 1974, als er neun ist, ziehen sie ins Heilige Land. Glick wird Beamter im Einwanderungsministerium, das sich um Juden kümmert, die nach Israel ziehen. Er ist auch für jüdische Siedlungen im Gazastreifen zuständig. Im August 2005 lässt Ministerpräsident Scharon dort 16 von ihnen gewaltsam räumen.

Aus Protest gegen den Abzug kündigt Glick. Er beginnt seinen Kampf um den Tempelberg, um den Flecken des Heiligen Landes, der den Juden verwehrt bleibt. Den Ort, wo Überlieferungen zufolge der Herodianische Tempel stand – das bedeutendste Heiligtum im Judentum. Heute befinden sich dort der Felsendom mit seiner goldenen Kuppel und die Al-Aksa-Moschee – die drittheiligste Stätte des Islam nach Mekka und Medina. Seit dem Sechstagekrieg 1967 untersteht alles jordanischer Verwaltung. Fromme Juden dürfen das Areal betreten. Beten dürfen sie nicht.

Die steile Straße, die in das Viertel Abu Tor in Ostjerusalem hineinführt, ist auch Wochen nach dem Anschlag noch gesperrt. Schwere Zementklötze blockieren die Fahrbahn. Zwei Soldaten mit Helm und Maschinengewehr lehnen an ihrem Jeep. Man muss mit dem Auto einen weiten Umweg fahren, um das arabische Viertel zu erreichen, das gleich am Hang östlich der Jerusalemer Altstadt beginnt.

„Vielleicht mauern sie die Wohnung zu“, sagt der Vater

Ein kühler Wind pfeift durch die schmalen Gassen Abu Tors und wirbelt Staub und Mülltüten auf. Wie ein Vogelnest klebt das Haus der Hidschasis am Hang. Ein weißer Klotz mit Satellitenschüsseln und schwarzen Wassertanks auf dem Dach, hineingestopft in die ohnehin schon so beengte arabisch Siedlung.

„Alles, was wir bis jetzt gesehen haben, ist eine animierte Illustration“, sagt Ibrahim Hidschasi und lacht, dass es ihn schüttelt. „Im Fernsehen“, fügt er hinzu, „wie ein Trickfilm.“ Ibrahim Hidschasi ist 67, ein gebeugter Mann. Seine Halswirbel spielen nicht mehr recht mit. Die blauen Augen im sonnengegerbten Gesicht aber sind hellwach. Sollte ihn der Tod seines Sohns Moatas bedrücken, so hat er die Trauer tief in sich begraben.

Der Vater sitzt in einem weißen Plastikstuhl auf der gefliesten Terrasse vor dem Haus und wartet. Neben ihm sein anderer Sohn Addei. Die Wohnung haben die Hidschasis vor Tagen leer geräumt. Nachdem der Räumungsbefehl kam. Immer wieder zerstört das israelische Militär nach Attentaten die Häuser der Angehörigen. Zur Abschreckung, argumentieren die israelischen Behörden. Als kollektive Bestrafung der Palästinenser und um Platz für jüdische Bewohner in Ostjerusalem zu schaffen, kritisieren UN und Amnesty International.

Die Wohnung der Hidschasis liegt im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses. Komplett einreißen können die Behörden das Haus nicht, ohne Unbeteiligte zu treffen. „Vielleicht mauern sie die Wohnung zu?“, sagt der Vater und zuckt mit den Schultern.

Ein Anwalt hat im Auftrag der Familie Klage vor dem obersten Gericht gegen die Demolierung eingereicht. „Mehr als Hinauszögern werden wir es wohl nicht“, sagt der Vater.

An jenem Abend im Oktober hält Jehuda Glick im Begin-Zentrum einen Vortrag. „Israels Rückkehr auf den Tempelberg“ lautet der Titel der Konferenz, die dort jedes Jahr stattfindet. „Ich mache mein Handy nie aus“, habe er gescherzt, so berichten Zeitungen, und demonstrativ sein Telefon aus der Tasche gezogen. „Ich könnte ja plötzlich die Nachricht bekommen, dass wir den Tempel wieder errichten dürfen, und dann lasse ich alles stehen und liegen, um ihn zu bauen.“

Bis zum Tag des Attentats brachte Glick als eine Art Fremdenführer jüdische Gruppen auf das Areal. Erst wenn die Juden ihre religiöse Pflicht erfüllen und an den Überresten des Heiligen Tempels beten, werde der Messias kommen, und mit ihm auch der Dritte Tempel, glaubt er. Die Palästinenser können vorerst bleiben, findet er. So lange sie friedlich sind.

Als ihm die israelischen Behörden, um die Lage zu entspannen, im Oktober 2013 den Zutritt zum Tempelberg verwehrten, trat er zwölf Tage lang in einen Hungerstreik – bis man ihn das Heiligtum doch wieder betreten ließ.

Es gibt ein Video des Attentats, von einem Nachrichtensender animiert wie ein Kinofilm von Disney. Jehuda Glick verlässt das Begin-Zentrum, neben ihm der rechte Knesset-Abgeordnete Mosche Feiglin. Abu Tor, das arabische Viertel, in dem die Hidschasis wohnen, ist nur wenige hundert Meter Luftlinie entfernt. In dem Video ist auch zu sehen, wie Polizisten Moatas Hidschasi erschießen. Sie sehen aus wie Computerspielfiguren.

Zeugenaussagen und die Aufnahmen der Überwachungskamera vor dem Begin-Zentrum belegten, dass Hidschasi der Täter gewesen sei, sagt ein Polizeisprecher. Aber nicht einmal der Anwalt der Familie Hidschasi durfte die Videoaufzeichnungen und die Akten einsehen.

„So lange mir die israelische Polizei keine Beweise vorlegt, glaube ich nicht, dass mein Sohn das war“, sagt deshalb Ibrahim Hidschasi in seinem Plastikstuhl auf der Terrasse. Der Schabak, der israelische Inlandsgeheimdienst, stehe hinter dem Attentat. Er wollte den Unruhestifter Glick loswerden, um den Tempelberg zu befrieden. Und einen unschuldigen Araber als Sündenbock für die Tat finden. Das ist seine Theorie.

Knapp zwei Kilometer vom Haus der Hidschasis entfernt, macht Jaakov Hayman gerade wieder einmal den Job Jehuda Glicks, während der sich in der Klinik langsam erholt. Wie Glick begleitet er als „Fremdenführer“ jüdische Gruppen auf den Tempelberg. Er ist ein hagere Mann mit einem langen weißen Bart und einer kleinen silbergrauen Kippa auf dem Hinterkopf.

Der Ärger beginnt schon am Eingangstor, dem einzigen Zugang für Nichtmuslime. Touristen dürfen sich einfach anstellen. „Juden sind zurzeit aber nur in kleinen Gruppen zugelassen“, beschwert sich Hayman. Vor mehr als 27 Jahren kam er aus Kalifornien nach Israel. Man hört es noch. „Schon wenn ich meine Lippen im Gebet bewege oder ein Gebetsbuch aus meinem Hemd ziehe, werde ich von aufgebrachten Arabern umstellt und von israelischen Polizisten hinauseskortiert“, flucht er. Einmal sei er sogar verhaftet worden. Mit Religionsfreiheit, für die er und Jehuda Glick kämpften, habe das nichts zu tun.

Während Touristen nur ihre Taschen durchleuchten lassen und einen Metalldetektor passieren müssen, unterziehen die Sicherheitsleute Hayman einer Leibesvisitation, tasten sorgsam seinen Körper ab, prüfen den Inhalt der Hosentaschen und seinen Pass mit strengem Blick.

Als Hayman und die anderen orthodoxen Juden das weitläufige von knorrigen Olivenbäumen bewachsene Areal des Haram asch-Scharif betreten, werden sie von fünf israelischen Soldaten in kugelsicheren Westen begleitet, das Maschinengewehr griffbereit. Immer wieder fordern sie die Gruppe auf, schneller zu gehen, nicht stehen zu bleiben.

Es ist Mittagszeit. Auf dem großen Vorplatz zwischen dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee stehen hunderte Männer mit Gebetskettchen in Gruppen zusammen, Frauen in langen Mänteln und mit Hidschab unterhalten sich. Als die Muslime die Juden mit Polizeieskorte bemerken, beginnen sie zu rufen. „Allahu akbar“, „Gott ist groß“, schallt es über den Platz, erst vereinzelt, dann immer lauter, wie ein wütendes Mantra aus hunderten Kehlen.

Einige filmen die Juden mit ihrem Handy, andere spucken verächtlich aus. Hayman lässt sich nicht einschüchtern. So langsam es nur geht, schlendert er über den Platz. „Es sind nicht wir, von denen die Gewalt ausgeht“, sagt er ruhig.

Auf der Terrasse in Abu Tor nippt Addei Hidschasi, 28 Jahre alt, an einer winzigen Tasse mit gesüßtem Mokka. „Moatas war an dem Abend ganz normal, als er von der Arbeit kam“, erinnert sich der Bruder. „Wir waren gerade dabei, unsere Sachen zu packen, um in unser Wochenendhaus in der Nähe von Ramallah zu fahren“, erzählt er. Er spricht leise. Die Kapuze seines Hoodies hat er über den Kopf gezogen, um sich vor dem kalten Wind zu schützen. „Moatas war müde und wollte nicht mit“, sagt der Bruder. „Also sind wir ohne ihn gefahren, und er hat sich auf die Couch gelegt.“ Addei war 14, als Moatas zum ersten Mal ins Gefängnis musste.

Wenn man fragt, was sein Sohn getan hat damals, holt der Vater zu einer langen Geschichte aus. Detailliert beschreibt er dessen schlechte Erfahrungen mit israelischen Soldaten.

Einmal hätten sie ihn an einem Checkpoint drangsaliert, weil der Junge, der gerade erst von Abu Dhabi nach Jerusalem gezogen war, kein Hebräisch verstand. Ein andermal habe ein israelischer Soldat zu Pferd den Jungen in der Jerusalemer Altstadt grundlos mit einem Knüppel geschlagen. Als er schließlich auf die Schule ging, um eine Ausbildung zum Elektrotechniker zu machen, habe Moatas unter der Woche dort schlafen müssen, weil er sonst wegen der ständigen Straßensperren und Kontrollen auf dem Weg dorthin zu spät zum Unterricht gekommen wäre.

Der Chef erkennt ihn an seiner Motorradjacke

Im Jahr 2000 wurde Moatas Hidschasi wegen Brandstiftung verhaftet. Innerhalb von 17 Tagen hatte er an sieben verschiedenen Orten in Jerusalem Kabelbrände gelegt, darunter auch in Schulen. So stand es damals in der Zeitung. Verletzt wurde niemand. Erst 2012 wurde er aus der Haft entlassen. Die meiste Zeit hatte er in Einzelhaft verbracht.

„Dass er ein verurteilter Straftäter ist, macht ihn für die israelischen Behörden nur zu einem glaubwürdigeren Sündenbock“, sagt Ibrahim Hidschasi.

Warum wird Moatas aber als Mitglied der Terrororganisation „Islamischer Dschihad“ geführt?

Der Vater wischt den Vorwurf mit einer verächtlichen Handbewegung beiseite. „Die Häftlinge in israelischen Gefängnissen sind gezwungen, irgendeine Organisation anzukreuzen“, sagt er. „Die Gruppe fand Moatas wohl am sympathischsten.“

Am Abend des 29. Oktober haben die Angestellten des Restaurants Terasa im zweiten Stock des Begin-Zentrums ein Buffet für die Gäste der Tempelberg-Konferenz aufgebaut. Seit eineinhalb Jahren arbeitet Moatas Hidschasi dort als Koch. Später hilft er, die Tische wieder wegzuräumen. Jehuda Glick unterhält sich währenddessen mit anderen Gästen.

„Da muss Moatas ihn gesehen haben“, sagt der Schichtleiter des Restaurants, der an dem Abend mit Hidschasi arbeitete. Um zwanzig vor neun sei Hidschasi plötzlich zu ihm gekommen. Er müsse schnell gehen, habe er gesagt. „Er war ganz weiß im Gesicht“, erinnert sich der junge Israeli. Obwohl seine Schicht offiziell erst um zehn endet, lässt er ihn gehen. Warum Hidschasi solche Eile hat, fragte er nicht. „Ich habe gedacht, dass vielleicht etwas mit seiner Familie ist“, sagt er heute.

Ein stiller, freundlicher Mann, sei Moatas Hidschasi gewesen. „Ein sehr guter Arbeiter.“ Kürzlich erst saßen sie ihm Foyer und aßen Süßigkeiten, die Hidschasi mitgebracht hatte.

Die Polizei habe ihm das Video der Überwachungskamera gezeigt, erzählt der Vorgesetzte. Der Schusswechsel selbst ist nicht darauf. „Es war dunkel, und das Bild war nicht besonders gut“, sagt er. „Aber ich habe Moatas’ Helm und seine schwarze Motorradjacke erkannt.“

Am Abend vor seiner Entlassung, fast einen Monat nach dem Attentat, veranstaltet Jehuda Glick im Krankenhaus eine Pressekonferenz. Er beginnt mit einem Gebet: „Gesegnet bist Du, unser Gott, König des Universums, Wiedererwecker der Toten“, intoniert er mit geschlossenen Augen und brüchiger Stimme. Nur jenem Gott sei es zu verdanken, dass er noch lebe. Aufrecht sitzt Glick im Rollstuhl. Selbstständig zu gehen, fällt ihm noch schwer. Den linken Arm trägt er in einer Schlinge. Journalisten drängen sich im Raum. Die Bilder sind später in den Abendnachrichten zu sehen.

Als die israelischen Einsatzkräfte am Morgen des 30. Oktober kurz nach fünf das Haus der Hidschasis in Abu Tor umstellen, ist keine einzige Kamera dabei. Beweise, für das, was dort geschehen ist, gibt es also nicht.

„Ich war fünf Minuten zuvor mit dem Auto angekommen, um Moatas seinen Werkzeugkoffer zu bringen“, erzählt sein Bruder Addei. Gemeinsam halfen die beiden immer wieder bei Handwerksarbeiten in der Gegend, um ihr Gehalt aufzubessern.

„Als ich wieder aus dem Haus kam, wurde ich sofort verhaftet“, sagt der Bruder. Moatas flüchtet auf das Flachdach des Hauses. Dort oben eröffnen die israelischen Sicherheitskräfte das Feuer. 22 Kugeln treffen Moatas Hidschasis Körper, bis er hinter einer mannshohen Solarplatte zu Boden geht. Er sei bewaffnet gewesen und habe das Feuer eröffnet, sagen die israelischen Behörden.

„Ich stand an meinem Schlafzimmerfenster im zweiten Stock und habe hinausgeschaut“, sagt ein Nachbar. Man kann das Dach von seinem Haus aus gut sehen. Zwar sei er in Deckung gegangen, als die bewaffneten Einsatzkräfte auch auf ihn zielten. „Aber Pistolenschüsse habe ich nicht gehört“, sagt er.

Sie wollten doch nach einer Frau für ihn suchen

Ibrahim Hidschasi ist mittlerweile die Treppe in den zweiten Stock des Hauses hinaufgestiegen. Weil die Wohnung seines Neffen noch leer stand, hat die Familie dort oben ihre Sachen untergebracht. Hidschasi wandert zwischen Koffern und Kisten umher, die Kleidungsstücke sind zusammengeknüllt und wirken hastig hineingeworfen. Er zieht einen schwarzen Anzug aus einem der Koffer. „Den habe ich erst vor Kurzem für Moatas gekauft“, sagt er und streicht über das bestickte Revers des Jacketts. „Wir wollten uns bald nach einer Frau für ihn umsehen.“ Das Etikett baumelt am Ärmel.

„Wissen Sie“, sagt der Vater dann auf einmal. „Ich glaube nicht, dass mein Sohn das getan hat.“ Er sinkt in seine Couch . Hinter ihm, an der Wand, lehnt ein großes Ölgemälde, dass den Tempelberg zeigt, den Felsendom mit der goldenen Kuppel. Ein Bild, das in den meisten arabischen Wohnzimmern zu finden ist.

„Aber wenn doch“, sagt er, „dann war es Jehuda Glick, der ihn mit seinen ständigen Besuchen auf dem Tempelberg so wütend gemacht hat.“

■ Marlene Halser, 37, tazzwei- Redakteurin, ist zurzeit als Stipendiatin der Internationalen Journalisten-Programme in Israel

■ Kobi Wolf, 39, ist freier Fotograf in Tel Aviv