Der Beat hört nicht auf

BUMM! Unstoppbar und zu allem fähig: 24 Stunden nonstop spielt das Technobandenkollektiv Krautok heute live im Chez Jacki/ADS

Niemand macht den Dirigenten. Niemand steht am Mischpult und entscheidet, was zu hören ist

VON ULRICH GUTMAIR

Da muss man erst mal drauf kommen. Da musste jemand drauf kommen. Es war im Sommer 1995. Es gibt Leute, die behaupten, es sei 1996 gewesen. Krautok sollte der Abend heißen. Der Flyer war kaum zu entziffern. Jemand hatte sich eigens eine Schrift ausgedacht, siehe unten. Es ging darum, 24 Stunden lang, nonstop, die Menschmaschine des Technokollektivs am Laufen zu halten. Und die Neunziger wären nicht die Neunziger gewesen, wenn es – gesagt, getan – nicht auch so gemacht worden wäre.

„Der Impuls für Krautok war ziemlich einfach“, sagt Anton Waldt. „Wir haben alle damals ewig im Studio gehockt und produziert. Das kann man auch auf der Bühne machen, wenn man mit ein paar mehr Leuten am Start ist. Damals war vom Equipment her live spielen und im Studio sitzen kein großer Unterschied. Der Friseur war der Ort dafür, weil wir sowieso jedes Wochenende da abgehangen sind. Wir haben also zwei Dinge kombiniert, die sowieso die ganze Zeit auf dem Plan standen. Man macht in einer Extended Version, was man sowieso macht. Und lässt es nicht aufhören. Das war eine Sache, die zu der Zeit virulent war: Der Beat hört nicht auf.

Toktok war ursprünglich ein Bandenkollektiv mit mindestens zehn Menschen. Das hat sich peu à peu reduziert. Damals waren es Nerk, Fabian Feyerabendt, C14 und ich. Bei Krautok waren auch noch Robotnik dabei, Andrea und Andreas. Wir haben es gnadenlos durchgezogen. Das heute übliche Afterhourn, das nicht aufhört, gab es damals noch nicht so. Wir haben am späten Nachmittag angefangen. Morgens wurde es irgendwann relativ leer. Es gab eine Zeit, da konnte man vor dem Friseur wunderbar vor der Tür sitzen. Wo die Leute, die noch da waren, alle auf dem Gehweg saßen morgens. Drinnen drehte noch ein Mensch einsam an den Apparaten. Die Maschinerie tuckerte und lief vor sich hin. Im Zweifelsfall muss man da gar nichts dran machen. Am frühen Nachmittag kamen wieder welche. Wir fanden das alle ganz dufte. Es gab das Phänomen, dass viel mehr Leute dachten, sie seien da gewesen, als es der Fall gewesen sein kann.

Das 24-Stunden-Ding war eher ein Konzept. Es hat gut zum Friseur gepasst, der keine Ravetechnobude war, sondern eher ein Boheme-Künstler-Ort. Insofern war es gar nicht so eine Sache von Durchraven. Das hat sich 2006, als wir Krautok wieder aufgenommen haben, ein bisschen geändert.

Es soll ein freies Spielen sein. Es gilt, mit möglichst wenig vorgefertigten Dingen aufzumarschieren. Für die größere Toktokbande war es damals üblich, mit relativ wenig anzufangen bei unseren Livesets. Wir hatten ein, zwei Sounds, von denen man wusste: Die sind o. k. Und ein, zwei Takte als Sequenz. Der Rest ist on the fly auf der Bühne entstanden. Man hat sich die Sequenzen live zusammengeklickt und gedreht. Wir waren maximal zu sechst an den Maschinen. Da merkte man aber schnell, dass es zu voll wird.

Wenn bei dieser Musik zu viel passiert, dann ist es blöd. Das ist auch heute noch so. Die Leute wechseln sich nacheinander ab. Wobei wir darauf achten, dass sie ineinander morphen. Es gibt aber auch einen Teil, den wir Jam nennen. Da kann jeder mitspielen. Es gibt ein relativ bombastisches Setup aus vier oder sechs Mischern und eine riesige Midianlage. Die ist in der Lage, das Midisignal, also den Takt, an beliebig viele Geräte zu verteilen. Man kann fast unbegrenzt Leute einstöpseln.

Das Jammen geht manchmal schrecklich in die Hose, wenn alle mit der Bassdrum gleichzeitig losdreschen. Manchmal ist es wunderschön, wenn alle sich zurückhalten und was passiert. Das ist ein gleichberechtigtes Musizieren. Niemand macht den Dirigenten. Niemand steht am Mischpult und entscheidet, was zu hören ist. Das müssen die Acts, die zusammen jammen, unter sich ausmachen. Krautok hat eine Hippieattitüde. Es ist barrierefrei.

Krautok ist eine Traditionsveranstaltung. Man sieht am Lineup, wie viel Opas und Omas dabei sind. Das liegt an den Zufällen des sozialen Netzwerks. Es spielen aber auch Leute mit, die wesentlich jünger sind. Gemein ist allen, dass sie Techno machen und dass sie das Livespielen ernst nehmen. Es gibt eine Vorliebe für analoge Drummachines und Synthesizer. Die zu bedienen ist wie Fahrradfahren, das verlernt man nicht. Es gibt auch ein paar Stimmen, etwa Soffy O. und Eric D. Clark. Da sind in den letzten Jahren schöne Momente entstanden. Meistens dann, wenn die Aufnahmegeräte versagt haben. Haben wir das erste Krautok mitgeschnitten? Natürlich nicht! Wir haben das notorisch nicht auf die Reihe gekriegt. Und wo man mal ein Aufnahmegerät mithatte, war es dann ein Scheißabend. Im Nachhinein ist es ganz gut so: Das Spurenlose, das gilt ja auch für den Friseur.“

■ „No DJs, just live-acts!“ Samstag, 20 Uhr, im Chez Jacki/ADS