Küstenstadt weiter unter Beschuss

Das syrische Regime hat im Kampf gegen die Protestbewegung zum ersten Mal die Marine eingesetzt. Während am Sonntag Panzer, Soldaten und Sicherheitskräfte die Küstenstadt Latakia stürmten, nahmen von der Seeseite her Kriegsschiffe den Vorort Ramel unter Beschuss. „Ramel wurde stundenlang bombardiert: Sie haben sogar mit Luftabwehrwaffen auf die Wohnhäuser gefeuert“, sagt Ahmed, ein Computeringenieur aus Latakia. „Auch in mehrere andere Viertel drangen Soldaten ein und schossen wahllos mit Maschinengewehren um sich.“

Am frühen Montagmorgen setzte die Armee die Angriffe fort. Rund 50 Menschen kamen nach Angaben von Aktivisten seit Beginn des Angriffs am Samstag ums Leben, 23 davon allein am Montag. Unter ihnen sollen drei Kinder sein. Im Internet kursiert ein Video, das die Leiche einer Zweijährigen zeigt, die offenbar durch einen Schuss ins Auge getötet wurde. Es ist unmöglich, die Informationen unabhängig zu überprüfen. Syrien verweigert nahezu allen Journalisten die Einreise.

„Tausende versuchen zu fliehen, nicht nur aus Ramel, sondern auch aus anderen Vierteln“, sagt Ahmed. „Die Armee hat auf einen Bus voller Flüchtlinge gefeuert und dabei eine Frau getötet.“ Ramel ist ein ärmlicher sunnitischer Vorort am südlichen Rand der Stadt, der überwiegend von palästinensischen Flüchtlingen bewohnt ist. Vor allem in diesem Stadtteil kam es seit Beginn des Konflikts im März immer wieder zu Protesten. Erst am Freitag hatten erneut rund 10.000 Demonstranten den Sturz des Regimes gefordert. Zudem berichten Anwohner, dass sich seit zwei Monaten 30 desertierte Soldaten in Ramel verstecken.

Zu Beginn des Ramadans vor drei Wochen hat das Regime seine Offensive gegen die Protestbewegung drastisch ausgeweitet. Stadt um Stadt, Viertel um Viertel eroberte die Armee die Hochburgen der Aufständischen: zunächst die zentralsyrische Stadt Hama, danach Deir Azzour im Osten. Zwar erreichten die Proteste in Latakia nicht dasselbe Ausmaß wie in den beiden anderen Städten, doch die Lage in Latakia ist äußerst heikel, da sich in der Küstenregion die alawitische Minderheit konzentriert, der auch der Assad-Clan angehört. Mit dem gezielten Beschuss der sunnitischen Wohnviertel riskiert das Regime nun, die ohnehin starken Spannungen zwischen den Konfessionen weiter zu schüren. GABRIELA KELLER