Der fiktive Mathelehrer

Abrechnung im Aufzug

Mir ist letzte Woche etwas Komisches passiert. In einem Aufzug, auf dem Weg hoch in den zwölften Stock. Mit mir in der Kabine standen ein älterer Mann und eine junge Frau. Der Mann trug eine Aktentasche unterm Arm und erinnerte mich an meinen früheren Mathelehrer, die Frau hielt einen Stapel Pizzaschachteln. Man konnte gerade mal ihre Stirn sehen und ihre Haare, so hoch war der Stapel. Ich beobachtete den Mann, dachte an den Matheunterricht der 8. Klasse, und während ich das tat, fiel mir der Zettel aus der Hand, den ich oben abgeben wollte. Behutsam segelte er zu Boden, der Pizzabotin vor die Füße.

Ehe ich mich versehen konnte, stellte der Mann seine Tasche ab und bückte sich, um den Zettel aufzuheben. Als er sich wieder aufrichtete, passierte es schließlich. Er stieß mit seinem Mathelehrerrücken an die Unterseite der Pizzaschachteln, und weil dieses Aufrichten sehr schwungvoll geschah, schleuderte mit einem Mal das Mittagessen einer ganzen Etage durch die Kabine. Es war ein wirklich besonderer Moment. Jener Lehrer, wegen dem ich die 8. Klasse wiederholen musste, stand neben mir, während Oliven, Artischocken und Pilze durch die Luft flogen und überall auf ihm liegen blieben. Es sah irgendwie schön aus, wie all die Sachen auf ihn herunterregneten. Auch Zwiebeln und Salamischeiben waren dabei, jede Menge sogar, und besonders gut zur Geltung kamen die kleinen Maiskörner in seinem Haar.

Dann war es ganz still im Raum. Das Schauspiel war vorbei. Ein kleiner kulinarischer Platzregen, der überall seine Spuren hinterlassen hatte. Ich blickte die junge Frau an. Und dann zu Boden. Ich blickte hoch an die Decke. Dann an die Wände. Und dabei dachte ich ständig: So – damit wären wir quitt. JOCHEN WEEBER