Verzaubert von Harry Potter

In der Nacht zu Samstag erscheint der lang ersehnte siebte und letzte Harry-Potter-Band. Saskia Preissner, die Chefin eines riesigen deutschen Fanclubs, verfolgt seit über sieben Jahren jede Regung des Zauberlehrlings. Und wurde mit ihm erwachsen

Den Verkaufsstart des siebten Harry-Potter-Bandes feiern viele Berliner Buchhandlungen mit zusätzlichen Öffnungszeiten. Die englische Originalausgabe des voraussichtlich letzten Bandes mit dem Titel „Harry Potter and the Deathly Hallows“ erscheint am Samstag um 0.01 Uhr in Großbritannien. In Deutschland kann das Buch wegen der Zeitverschiebung erst um 1.01 Uhr verkauft werden.

Das Kaufhaus Dussmann in der Friedrichstraße werde an diesem Tag ab 1.01 Uhr eine verkaufsoffene „Lange Harry-Potter-Nacht“ mit Butterbier und Schokofröschen veranstalten, teilte eine Sprecherin des Unternehmens mit. Auch einige Filialen der Buchhandlung Hugendubel öffnen von 1.01 bis 2.00 Uhr zu einem Harry-Potter-Sonderverkauf, wie ein Sprecher sagte.

Am Freitagabend veranstaltet der Fanclub von Saskia Preissner (siehe Text) eine Buchpremierenparty in der Spandauer Zitadelle. Auch die Bücher werden in der Nacht noch verkauft. Die taz verlost 2 x 2 Eintrittskarten. Wer mitfeiern will: Einfach bis Freitag mittag, 12 Uhr, eine Mail schicken an die Redaktion unter berlin@taz.de TAZ, DDP

VON LISA RANK

Langsam kommt der kleine Junge mit dem Topfschnitt näher, als Saskia Preissner zwischen Tannenzweigen auf dem Helmholtzplatz steht und für ein Foto posiert. Sie trägt einen großen, braunen Hut. Die Krempe legt einen Schatten über ihre Augen, aber sie lacht breit und stakst ohne zu murren im knielangen Rock durch die piksigen Zweige. „Bist du eine echte Hexe?“, fragt der junge Zuschauer schüchtern. „Vielleicht“, entgegnet die 22-Jährige und amüsiert sich, als der Kleine sich umdreht und zurück zu seinem Vater rennt.

So etwas käme öfters vor, wenn sie in ihrem Kostüm unterwegs ist, sagt Saskia Preissner. Sie ist die Vorsitzende des HPFC, einem deutschen Harry-Potter-Fanclub mit über 100.000 Mitgliedern, der sich aus markenrechtlichen Gründen jedoch nicht so nennen darf. „In die Universität gehe ich damit aber nicht“, sagt Saskia Preissner. Sie schüttelt verwundert den Kopf. „Manche Leute fragen mich das ernsthaft, aber ich bin doch nicht verrückt.“

Zauberhut von Ibiza

Nein, verrückt sieht sie wirklich nicht aus. Eigentlich eher wie ein ganz normales Mädchen aus dem Prenzlauer Berg mit ihren hüftlangen braunen Haaren und einer großen Sonnenbrille im 70er-Jahre-Look auf der Nase. Nur ihr Hut, den sie zum Gespräch ins Café mitgebracht hat, zieht hin und wieder verwunderte Blicke auf sich. Gekauft habe sie den mal auf Ibiza, sagt sie. Aber eigentlich trage sie lieber ihren schwarzen Umhang mit den goldenen Sternen darauf. Auch dazu hätte sie einen passenden Hut.

Saskia Preissner ist in Prenzlauer Berg aufgewachsen. Hier wohnt sie noch mit ihren Eltern und den drei Geschwistern zusammen. Die Begeisterung für die Bücher von Joanne K. Rowling teile die ganze Familie, erzählt sie. Die jüngste Schwester warte zurzeit täglich auf ihre persönliche Einladung nach Hogwarts, dem Zauberinternat, in welchem die Geschichten um Harry Potter und seine Freunde spielen. Sie selbst hat den Zauberlehrling Weihnachten 1999 entdeckt. Da habe sie mit ihrer anderen Schwester die Bücher geradezu verschlungen, erzählt sie.

Als die beiden sich anschließend auf die Suche nach einem Fanclub machten, wurden sie nicht fündig. Und beschlossen kurzerhand, selbst einen zu gründen. Diese fixe Idee hat sich mittlerweile zu einer nachgefragten Internet-Plattform entwickelt. „Gerade bekomme ich um die hundert E-Mails täglich, die wollen natürlich beantwortet werden“, erzählt sie und streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Zwei bis vier Stunden am Tag sitzt sie am Rechner, sie selbst kann ja leider nicht zaubern. „Die Leute kamen immer von selbst, wir haben nie jemanden angesprochen.“

Ist man mit 22 nicht zu alt für Harry Potter? Saskia Preissner sieht das nicht so. Natürlich sei sie erwachsener geworden seit der ersten Begeisterung vor sieben Jahren. Aber auch ihre Perspektive auf die Bücher habe sich mit der Zeit verändert. „Früher fand ich die Geschichten toll, weil die Figuren in der Schule die Probleme hatten, die einem selber begegnet sind. Heute freue ich mich über die Erzählweise. Ich liebe es, wie Joanne K. Rowling zum Beispiel Essen beschreibt, und sehe das dann alles immer gleich vor mir.“

Hochsaison für die Fans

Sowieso sind ihr die Harry-Potter-Bücher viel lieber als die Filme. Da bleibe mehr Freiraum für die eigene Fantasie. Sie hat auch gerne etwas in der Hand, das sie anfassen und mitnehmen kann, zum Beispiel auf dem Weg in die Universität.

Saskia Preissner studiert Zahnmedizin im vierten Semester. Die Veröffentlichung des siebten und letzten Bandes der Harry-Potter-Geschichten an diesem Samstag fällt genau in ihre Prüfungszeit. Vor kurzem ist auch der Film „Harry Potter und der Orden des Phoenix“, der fünfte Teil der Geschichte, in die Kinos gekommen.

Hochsaison für Harry-Potter-Fans. Und so pendelt Saskia Preissner gerade zwischen ihrer Lerngruppe, ihrem Zuhause und Interviews mit Presseleuten hin und her. Sie sei froh über unser Treffen im Café, da könne sie mal kurz Pause machen und an etwas anderes denken als Biochemie, sagt sie. In diesem Fach steht am Montag eine Klausur an.

Geld verdient Saskia Preissner mit dem HPFC nicht, aber sie arbeitet nebenher noch in einem Pankower Krankenhaus als Aushilfe. Dort hat sie nach dem Abitur ein längeres Praktikum absolviert, nachdem sie sich gegen die Medienwissenschaft und für die Medizin als Studienfach entschieden hat. „In den Medien muss man sich durchbeißen. Da läuft viel mit Ellbogen, das ist nichts für mich“, meint sie. Während des Klinik-Praktikums habe sie gemerkt, dass sie mit dem Tod von Patienten nicht gut umgehen kann. „Mich hat das extrem getroffen. Ich dachte, wenn das mein Job wäre, fände ich es irgendwann normal. Und ich wollte nicht so abstumpfen.“ Also entschied sie sich für die Zahnmedizin.

In ihrer Freizeit liest Saskia Preissner viel. Nicht nur Fantasy-Bücher. Gerade habe sie sich eine Art Literaturkanon gekauft, den sie nun Buch für Buch versuche abzuarbeiten – wenn sie Zeit dafür findet.

Die ist meistens eher knapp. Trotzdem will Saskia Preissner mit dem Fanclub noch eine Weile weitermachen. Grund seien auch die vielen Freundschaften, die sich über die Jahre entwickelt haben. In Berlin, aber auch in anderen deutschen Städten. Sie könne jetzt auf Reisen fast immer jemanden anrufen und sagen: „Hallo, ich bin da. Treffen wir uns?“ Wenn man sich noch nie gesehen habe, taugten die Hüte auch mal als Erkennungsmerkmal. Aber normalerweise würden sie sich ohne Kostüme treffen. Die meisten seien schließlich ganz normale Freunde. Harry Potter wäre oft nur der Aufhänger.

In der Öffentlichkeit einen Zauberhut aufzusetzen, ist Saskia Preissner mittlerweile überhaupt nicht mehr peinlich. „Ich bin schließlich damit aufgewachsen. Inzwischen kann ich auch mit komischen Blicken gut umgehen.“

Zu Schulzeiten war das noch ein bisschen anders. Da gab es offenbar manchmal Ärger. Viele Mitschüler seien neidisch gewesen, meint Saskia Preissner. Sie hätten absichtlich nur Desinteresse gezeigt. „Vielleicht, weil ich manchmal wegen Veranstaltungen in der Schule fehlen durfte.“ Ihren Kommilitonen hat sie nach diesen Erfahrungen anfangs gar nichts von ihrem Hobby erzählt. Erst nachdem ein Foto von ihr im Berliner Fenster erschienen war, kamen einige und meinten: „Mensch, warum hast du denn nichts gesagt?“ Inzwischen fänden die meisten Leute „einfach cool“, was sie da mache.

Fortsetzung folgt

Voraussichtlich ist Saskia Preissner auch nach der Veröffentlichung des letzten Bandes noch gut beschäftigt. Die Community plant, eine Fortsetzung zu schreiben. Wie das genau ablaufen werde, wisse man noch nicht. „Wohl online und eben in der Gemeinschaft“, so Saskia. Aber erst mal stehen jetzt die Prüfungen an. Nach unserem Gespräch macht sie sich auf zu ihrer Lerngruppe. Da halten sie sich gegenseitig Vorträge und gehen Übungsklausuren durch.

Der Zauberlehrling und die Lernerei bestimmen gerade ihr Leben. „Früher habe ich auch Sport getrieben, aber seit ich Harry Potter mache, habe ich das so ein bisschen verlernt“, sagt sie und grinst wieder breit, sodass man ihre schönen, weißen Zähne sieht. Was nun kommt? Zahnmedizin halt, noch mindestens sieben Semester. Und Band acht von Harry Potter schreiben. So sieht Saskia Preissner ihre Zukunft voraus. Auch wenn sie gar keine echte Hexe ist.