Eine Queen of Swing

PAARTANZ MIT LUFTSPRUNG Sie ist eine Botschafterin afroamerikanischer Tanzkultur: Norma Miller, die den Swing-Tanz Lindy Hop mit erfunden hat, ist für wenige Tage in Berlin zu Gast. Rückblick auf ein langes Leben

Spike Lee und Denzel Washington lernten bei Millers Partner, wie Air Steps getanzt werden

VON FRANZISKA BUHRE

Die Tänzerin wirbelt mit einem Handstand auf ihren Tanzpartner zu, streift dann seine Schultern mit den Kniekehlen, während er sie aufrichtet, bis sie kopfüber seinen Rücken hinunterrutschen kann. Sie landet zwischen seinen Beinen, woraufhin er sie wieder gegenüber von sich in den Stand schwingt. Norma Miller und ihr Partner tanzen diese spektakuläre Akrobatik in knapp vier Sekunden, zu bewundern in der wahrscheinlich schnellsten Tanzszene aller Zeiten aus dem Film „Hellzapoppin‘“ von 1941. In einigen weiteren Aufnahmen hat sie gezeigt, welche Lässigkeit, Unbedingtheit und Schwung Menschen aufs Parkett legen können, wenn sie Lindy Hop tanzen.

Die Swing-Fans in Deutschland zögerten nicht lange, als sie erfuhren, dass die legendäre Tänzerin Norma Miller Anfang August zu Gast beim größten Swingtanzfestival der Welt in Schweden sein würde. Kurzerhand wurde die 91-jährige Tänzerin nach Frankfurt und Hamburg eingeladen, heute und morgen darf man sie beim Swingtalk in Clärchens Ballhaus und im Frannz Club in Berlin erleben.

Bürgersteig als Bühne

Die 1919 in Harlem, New York geborene Afroamerikanerin ist eine der letzten noch lebenden Erfinderinnen des Paartanzes Lindy Hop, der Ende der 1920er Jahre in Harlem entstand. Erstmals verbinden Tanzende im Lindy Hop eine geschlossene mit einer losen Tanzhaltung, was ihnen Improvisation und individuelle Zurschaustellung erlaubt und für Zuschauende und andere Tänzer Vergnügen und gegenseitige Herausforderung bedeutet.

Weil die elterliche Wohnung zu dieser Zeit gleich hinter dem legendären Savoy Ballroom liegt, hört Miller die besten Swing-Big-Bands, noch bevor sie die Tanzfläche betreten darf. Ihr Tanzen auf dem Bürgersteig erregt Aufmerksamkeit, mit 15 Jahren wird sie jüngstes Mitglied einer professionellen Tanzgruppe aus dem Savoy, der Whitey’s Lindy Hoppers.

Neben Auftritten auf Bühnen im ganzen Land und in Filmen gehören Tanzwettbewerbe zum festen Programm der Tänzer. Dort können sie in Zeiten der Rassentrennung einer breiten Öffentlichkeit zeigen, wer den weißen Tänzern weit überlegen sind. Norma Miller und ihr Partner proben wochenlang für ihren ersten Wettbewerb im Jahre 1935. Sie tanzt, auch das ist neu, in einem kurzen Rock und Turnschuhen, die Lindy Hopper feuern sich gegenseitig lauthals an.

Ausbruch, Aufbruch

„Wir waren wie eine Gruppe gefangener Tiere, bereit, aus dem Käfig auszubrechen“, sagt sie Jahrzehnte später über diese Zeit. Weiße hätten alles andere in der Hand gehabt, aber Lindy Hop hätten sich Afroamerikaner damals nicht nehmen lassen.

Norma Miller und andere erfinden Air Steps, gewagte und spektakuläre Sprünge und Akrobatiken. Sie tourt mit Whitey’s 1936 durch Europa, ein Jahr später schlägt sie Rad über einen Tänzerrücken in dem Marx-Brothers-Film „A Day at the Races“. Auf der Weltausstellung 1939 in Flushing, Long Island, müssen die Whitey’s im Viertelstundentakt alles geben, „Iron Man Lindy Hop“ tituliert Miller dieses Engagement im Rückblick. Ein Gastspiel in Rio de Janeiro wird 1941, bedingt durch den Kriegseintritt der USA, zum zehnmonatigen Aufenthalt.

In New York hat sich der Musikgeschmack inzwischen gewandelt und die Tänzer werden in die US-Army eingezogen. Miller nimmt Tanzunterricht in modernen Tanztechniken und landet irgendwann in Los Angeles, choreografiert für lokale Shows.

1952 gründet sie in ihrer Heimatstadt die „Norma Miller Dancers“, tourt bis nach Australien und wieder durchs ganze Land, unter anderem mit dem Count Basie Orchestra. In Miami macht sie erfolgreich Comedy bis 1959. Auf den Bühnen von Las Vegas sind Miller und ihre Choreografien in den 1970er Jahren zu sehen, Lindy Hop aber tanzt sie zum ersten Mal wieder 1977 in der Show „Swingin’ at the Savoy“ in New York. Diesen Titel wählt sie für ihre Autobiografie, die seit 15 Jahren auf dem Markt ist.

Motor des Swing-Revivals

Seit dem Swing-Revival in den 1980er Jahren bereist Norma Miller den Globus als Botschafterin afroamerikanischer Tanzkultur. Gemeinsam mit Frankie Manning, Savoy-Tänzer der ersten Stunde, choreografiert sie 1988 eine Lindy-Hop-Routine für das berühmte Alvin Ailey American Dance Theater. Manning zeigt Spike Lee und Denzel Washington, wie Air Steps getanzt werden, mit Miller ist er 1992 in „Malcolm X“ zu sehen. Mannings Tod vor zwei Jahren ist für Miller ein schwerer, für Lindy Hopper weltweit ein trauriger Verlust.

Jeder nur halbwegs etwas auf sich haltende Breakdancer und Rock-’n’-Roll-Tänzer weiß heute, dass seine Freiheit in der Gestaltung von Bewegung von Menschen wie Norma Miller unter teils widrigsten Bedingungen ertanzt und erstritten worden ist. In Berlin können Tanzende am heutigen Abend und morgen der „Queen of Swing“ etwas zurückgeben: ihr zu Ehren tanzen und ihr zuhören.

■ 10. 8. 2011 ab 21 Uhr Swingdance (Miss Norma Miller introduced by Lotta Weigl) Clärchens Ballhaus, Auguststraße 24, 10117 Berlin-Mitte, Eintritt frei

■ 11. 8. 2011 ab 20 Uhr Swing And Wine (Swingtalk mit Miss Norma Miller, Interview: Swinging Swanee und Stephan Wuthe) Frannz Club, Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin-Prenzlauer Berg, Eintritt 5 Euro