Absoluter Stillstand im Paradies

ABCHASIEN In der von Georgien abtrünnigen Schwarzmeerrepublik geht es wirtschaftlich nicht voran. Trotz hoher Subventionen aus Russland. Jetzt bricht auch der Tourismus ein

„Keiner macht ernste Anstrengungen, etwas zu verändern“

INAL CHADSCHIG, JOURNALIST

AUS SUCHUMI KLAUS-HELGE DONATH

Auch ein Leben im Paradies kann anstrengend sein. Suchumi, die Hauptstadt der Republik Abchasien, stöhnt am Vorabend des dritten Jahrestages der Anerkennung als unabhängiger Staat durch Russland unter einer Hitzewelle von 40 Grad im Schatten. Selbst die von subtropischer Sonne verwöhnten Küstenbewohner sind dieser Hitzeattacke nicht gewachsen. Erst nach Sonnenuntergang verlassen sie die Häuser und schleichen auf der Uferpromenade am Schwarzen Meer entlang. Auch dort regt sich kein Lüftchen, das Paradies ist zum Stillstand verdammt.

Dennoch sind die Abchasen überzeugt, auf dem auserwähltesten Flecken der Erde zu leben. „Suchen Sie nicht das Paradies auf Erden, es gibt es schon“, wirbt die Führung der Republik auf ihrer Website um Touristen. Schon in der Sowjetzeit hatte die Republik den Ruf der russischen Côte d’Azur. Sowjetbürger kamen zu Millionen und kehrten mit dem Eindruck heim, einen Kurzaufenthalt im Schlaraffenland verbracht zu haben. Südfrüchte, exotisches Gemüse, Wein und seltener Käse schienen hier ohne menschliches Zutun auf den Tisch zu gelangen.

Sechzehn Jahre verbrachte die Republik nach dem Unabhängigkeitskrieg gegen Georgien 1992 in der Isolation. Der russisch-georgische Krieg im August 2008, der sich im Streit um die ebenfalls abgefallene Republik Südossetien entfachte, weckte bei den plötzlich souveränen Abchasen indes große Hoffnungen auf Prosperität des Sonnenstaates.

Doch die Republik tritt auf der Stelle. Noch immer übersäen Kriegsruinen das ganze Land. Die einstige Perle Suchumi versinkt in einem Haufen von Schutt und Abfall. „Keiner unternimmt ernste Anstrengungen, etwas zu verändern“, meint Inal Chadschig, der Chefredakteur der Oppositionszeitung Tschegemskaja Prawda. Lethargie habe sich breitgemacht. Trotz hoher Arbeitslosigkeit greife auch kein Einheimischer zum Besen. Die Straßen kehren Gastarbeiter aus Usbekistan und Tadschikistan.

Die auffallendsten Veränderungen seit 2008 sind neu asphaltierte Straßen und eine Unzahl an nagelneuen westlichen Luxuslimousinen. „Wir bauen die Straßen für unsere neuen Wagen, doch nicht für die Touristen“, flachst ein junger Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft, der einen japanischen Jeep fährt. Und woher kommt das plötzliche Geld? 70 Prozent des abchasischen Haushalts wird von Russlands Subventionen bestritten. Die Tendenz ist steigend, mit der Souveränität wuchs die finanzielle Abhängigkeit vom großen Nachbarn, der in der Republik ohnehin nur ein Protektorat sieht. Ein Großteil des Geldes soll überdies aus dem Verkauf von Immobilien stammen, die den mehr als 200.000 Georgiern gehörten, die im Krieg 1992 aus Abchasien fliehen mussten.

Von den 243.000 Einwohnern sind nur 95.000 Abchasen. Minderheiten wie Armenier, Russen und Griechen sind von lukrativen Posten im Staatsdienst ausgeschlossen. Vor allem hielt die Clanwirtschaft sie auch von den Profiten aus dem Geschäft mit den Kriegstrophäen fern. Die früher wohlhabenden Minderheiten gehören heute zu den Verlierern der Unabhängigkeit. Das schürt wieder böses Blut.

„Wenn sie das letzte Beutegrundstück verkauft haben und jeder einen Lexus fährt, denken die Herren hoffentlich auch mal an die Entwicklung des Staates“, meint ein armenischer Unteroffizier der Präsidentengarde.

Den Drang nach dem schnellen Geld beklagen jedoch auch Abchasen. Denn die wichtigste Einnahmequelle, der Tourismus, leidet unter der Raffgier. In den letzten Jahren sanken die Touristenzahlen jährlich um 30 Prozent. „Die Preise sind zu hoch und der Service ist zu schlecht“, sagt Chadschig. Jeder wolle das schnelle Geld, ohne an morgen zu denken. Das ändere sich erst, wenn kein Tourist mehr komme.

Die meisten Gäste sind Russen. Wenn die sich in Bloggs beklagen, sei das ein Alarmzeichen, klagt Boris, ein abchasischer UN-Angestellter. „Wir finden es unter unserer Würde, jemanden zu bedienen.“ Vor Krieg und Vertreibung waren es vor allem Georgier und Armenier, die sich um die Touristen kümmerten. Lachender Zaungast ist unterdessen Russland, das wartet, bis ihm die Frucht in den Schoß fällt.