Thema der Woche

Der Kompromissbahnhof

■ betr.: „Der Schienenheilige“, taz vom 1. 8. 11

Unter dem wirklich sehr kreativen und charmanten Titel „Der Schienenheilige“ lese ich wieder Berichte und Kommentare zum Projekt Stuttgart 21. Offenbar stehen die Zeichen mittlerweile auf „Go“. Mit keinem Hinweis oder Artikel wird bisher jedoch auf die Klage des Bündnisses von Privatbahnen gegen das Projekt aufmerksam gemacht.

Dieses neu gegründete Bündnis von 30 Privatbahnen befürchtet schwere Wettbewerbsnachteile durch den Tiefbahnhof und will den Weiterbetrieb der oberirdischer Gleise gerichtlich durchsetzen mit juristischer Rückendeckung eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags. Die Studie kommt zu dem eindeutigen Ergebnis, dass sowohl die Stilllegung als auch die Entwidmung der bestehenden oberirdischen Bahnanlagen keineswegs vom Planfeststellungsbeschluss für den Tiefbahnhof erfasst wurde und deshalb „in selbstständigen Verwaltungsverfahren zu prüfen“ seien.

Falls die Gerichte das auch so sehen, bedeutet das, dass die bestehenden Stuttgarter Bahnanlagen vor der Stilllegung zwingend ausgeschrieben werden müssen. Die Rechtslage dafür ist nach Paragraf 11 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) eindeutig. GERNOT KALLWEIT, Urbar

■ betr.: „Der Griff nach dem letzten Strohhalm“, taz vom 1. 8. 11

Der grundsätzliche Fehler der „Offiziellen“ unter den S-21-Gegnern lag darin, sich auf ein „Schlichtungsgespräch“ einzulassen. Es ging hier fast ausschließlich um die spekulative Qualitätsprüfung des geplanten Tunnelbahnhofs, die zu einem absurden „Stresstest“ führte. Zudem gibt es die Aussicht auf eine „Volksabstimmung“ durch die Bürger Baden-Württembergs, die großenteils viel zu desinteressiert sind an den (vermeintlich nur) Stuttgarter Problemen, um an der Abstimmung teilzunehmen. Das ist politisch ja auch so gewollt.

Durch die Diskussion der „Premiumqualität“ der drohenden Jahrhundertbaustelle waren alle eigentlichen Gründe für die kompromisslose Ablehnung des Projekts mit einem Schlag vom Tisch:

S 21 fügt sich als herausragendes Beispiel ein in die verheerend bürgerfeindliche Politik der letzten zwanzig Jahre. Es geht ja längst nicht nur um den Abriss dieses tadellos funktionierenden Bahnhofs (nebst dem allseits geliebten Schlossgarten) und den Neubau eines Tunnelbahnhofs auf brandgefährlichem Untergrund; die Demokratie und unser aller Lebensqualität stehen angesichts stetig steigender Ausbeutung der Steuerzahler zur Disposition: Entweder wir lehnen uns solidarisch und lautstark auf gegen die verhängnisvolle Kumpanei deutscher Politik mit den Finanz- und Wirtschaftsgiganten – oder aber S 21 wird zum Sinnbild der menschenfeindlichen, brutal auf Profit ausgerichteten Regierung der Wirtschaft („Wirtschaftsregierung“) über uns, die Bürger in diesem Staat, in Europa, auf der ganzen Welt. PETER RICHARTZ, Solingen

■ betr.: „Schlichtung, völlig falsch verstanden“, taz vom 1. 8. 11

Welch ein großartiger Kommentar – und wie zutreffend die Darstellung des „Schienenheiligen“! Gott sei Dank, dass jemand die S-21-„Schlichtung“ enttarnt! Dazu noch Folgendes:

1. Der Vergleich Geißler-Salomon (der weise König möge verzeihen!) muss darauf hinauslaufen, Geißler als einen falschen Salomon zu erkennen. Als den nämlich, der zwar beiden Müttern zugehört hätte, am Ende aber, statt durch weise Schliche die Wahrheit herauszubekommen, eigentlich der falschen Mutter das Kind zuspräche.

2. Was gibt es überhaupt an Geißlers Schlichter-Tätigkeit zu feiern? Mit angemaßter Autorität und Patriarchengehabe entwand er geschickt das Wort, wenn der Kern der Sache berührt zu werden drohte. So wurde Palmer abgewürgt, als er in den ersten Schlichtungssitzungen auf die für das ganze Thema zentralen Interessen der Immobilienspekulation zu sprechen kam.

3. Die Schlichtung erweist sich als bloßer kleiner Umweg für die „Bauherren“, ihre Ziele durchzusetzen. Hat Geißler die Sachlage tatsächlich nicht erkennen können, wurde er eingeschüchtert oder hat er bewusst für die Bauherren gearbeitet? Welche dieser Möglichkeiten auch zutrifft: Solch ein Schlichter ist fehl am Platz.

4. Geißlers Versuch, durch den späten Kompromissvorschlag sein Schlichteransehen und seine Neutralitätsbehauptung aufrechtzuerhalten und Gerechtigkeit zu suggerieren, ist durchsichtig.

AZRA CZYCHOLL, Freudenstadt

■ betr.: „Schlichtung, völlig falsch verstanden“, taz vom 31. 7. 11

Ingo Arzt hat völlig recht. Egal wie man S 21 abwandelt, ob S 21 plus von Geißler oder S 21 minus von Geißler/SMA, am Grundproblem ändert das nichts: Ein Immobilien- und Spekulationsprojekt soll irgendwie passend gemacht werden. Die Passagiere kommen in den Keller statt ebenerdiger und barrierefreier Umsteigemöglichkeiten, Leistungsfähigkeit und Ausbaufähigkeit gehen verloren, der integrale Taktfahrplan wird unmöglich, und es funktioniert, wenn überhaupt, nur in Verbindung mit einem idiotischen Tunnelstreckenprojekt nach Ulm.

Die geologischen Risiken des Anhydrit-Untergrundes werden ebenso ignoriert wie der Wahnsinn, auf Dauer das Grundwasser zu manipulieren. Ein solcher „Kompromiss“ ist keiner. Durch seine egoistische Show hat Geißler von der hochkarätigen Kritik an S 21, die in den Stunden zuvor geliefert wurde, abgelenkt.

Das einzige Gute an dem Geißler/SMA-Vorschlag ist, dass er auf jeder Seite auflistet, wie viel schlechter noch S 21 pur ist. Leider waren Geißler und SMA zu feige, das auch so zu benennen. Es lohnt sich, den Geißler/SMA-Vorschlag genau zu lesen. Als Lehrstück, nicht um ihn umzusetzen. Es lohnt sich noch mehr, die fundierte Kritik an S 21 und dem „Stresstest“ anzuschauen. Texte und Folien finden sich hier: http://www.schlichtung-s21.de/stresstest-21.html Franz, taz.de

■ betr.: „Schlichtung, völlig falsch verstanden“, taz vom 31. 7. 11

Politisch mag Ingo Arzt möglicherweise Recht bekommen, dass Geißlers S-21-Kompromissvorschlag der DB AB in die Karten spielt. Mit seinen beiden Vergleichen aber führt er die LeserInnen in die Irre: Zum einen sachlich, denn anders als ein Flugzeug mit einem Flügel ist ein Mehrebenen-Bahnhof mit halbem Schlosspark und halbem Hauptgebäude selbstverständlich funktionsfähig. Zum anderen emotional, denn für eine städtebauliche Entscheidung im 21. Jahrhundert ist das 3.000 Jahre alte Bild der zwei Kinder vor König Salomo – eines tot, eines lebendig – untauglich: Ingo Arzt müsste sonst wie jene Mutter des lebenden Kindes in der hebräischen Bibel mit der Ablehnung des Teilungskompromisses das eigene Kind (den Kopfbahnhof) für tot erklären, damit der Bahnhof ungeteilt als Kind der anderen (sprich als Tiefbahnhof) lebe. Und müsste dann dem absoluten König Geißler die endgültige Entscheidung überlassen, falle die nun weise aus oder nicht. NORBERT LANGE, Kassel

■ betr.: „Schlichtung, völlig falsch verstanden“, taz v. 31. 7. 11

Ingo Arzt hat schon klügere Beiträge formuliert, mit schlichterer Überschrift. Das „völlig“ ist zu viel, die Tautologie „zankende Streithähne“ überflüssig, und der Vergleich mit dem Flugzeug hinkt, nicht bloß, weil ein Flügel fehlt. Also: Stuttgart 21 bedarf gescheiterer Gedanken. Es gilt aufzuklären, wer Heiner Geißlers Vorschlag finanziert hat! Die Mit- oder Alleinhilfe der Schweizer Schwaben ist gewiss nicht billig. Zu denken, Geißler habe das aus eigener Tasche bezahlt, kann kaum sein. Aber wir sollten uns mählich dem Kompromiss nähern, auch einmal verworfene Gedanken müssen nicht faul sein, wenn sie noch brutzeln. PETER FINCKH, Ulm

■ betr.: „Schlichtung, völlig falsch verstanden“, taz v. 31. 7. 11

In Anbetracht dessen, dass in Stuttgart die Suppe inzwischen vollkommen verkocht ist, ist der Geißlervorschlag die fast einzige Möglichkeit, um überhaupt noch halbwegs heil aus der Nummer herauszukommen. Vielleicht sollte man in Zukunft bei solchen Bauvorhaben aber mal überlegen, ob der Schnellzugverkehr überhaupt weiterhin durch die Citys der Großstädte gequetscht werden muss. Flughäfen werden ja auch nicht in die City gelegt. Was hat man/frau davon, wenn man mitten in der City losfährt/ankommt? Dass man das Ziel vom Bahnhof aus zu Fuß ereichen kann ist doch in einer Großstadt illusorisch. Waage, taz.de

Dr. Heiner Geißler, Bundesminister a. D., wollte nach der ersten Bahnhofsschlichtung wieder schlichten. Herausgekommen ist der Vorschlag, den Regionalverkehr in Stuttgart oben zu lassen und den Fernverkehr in die Tiefe zu legen. So bliebe auch ein halber Schlosspark übrig.

Ingo Arzt, taz-Autor, hielt das in seinem Kommentar „Schlichtung, völlig falsch verstanden“ für ein geschicktes Manöver, die Gegner von Stuttgart 21 zu erschöpfen, und verglich den „Kompromissbahnhof“ mit einem Flugzeug, das nur einen Flügel hat. Weiter kam ihm König Salomo in den Sinn, der die Halbierung des Kindes empfiehlt.

Auch Stuttgart-21-Gegner sind nicht überzeugt von Geißlers Kompromiss und halten die „Schlichtungsgespräche“ für einen grundsätzlichen Fehler.