Vier Schrotschüsse ins Dunkle

USA In Montana hat der Prozess gegen den Hausbesitzer begonnen, der im April einen 17-jährigen Hamburger Austauschschüler erschossen hatte. Der Ausgang ist offen

■ Nach den tödlichen Polizeischüssen in der US-Kleinstadt Ferguson hat Präsident Barack Obama Pläne angekündigt, um das Vertrauen zwischen Polizei und Bevölkerung wieder herzustellen. Nach einem Treffen mit Bürgerrechtsaktivisten, Politikern und Polizeivertretern sagte er am Montag in Washington, eine Task Force werde sich um bessere Beziehungen zwischen den Beamten und ihren Gemeinden kümmern. Zuvor hatte Obama bei einer Kabinettssitzung vorgeschlagen, für die Anschaffung von Körperkameras für Polizisten in den kommenden drei Jahren 75 Millionen Dollar bereitzustellen. Mit den Geldern sollen Bundesstaaten und Kommunen beim Kauf von 50.000 Minikameras unterstützt werden, die Polizisten im Dienst an Hemd oder Kragen tragen sollen. (afp)

AUS MISSOULA HENRIETTE LÖWISCH

Zwar steht ein Schuldspruch keineswegs fest, doch immerhin wird der Fall Diren Dede vor Gericht verhandelt. Der Hausbesitzer Markus K., der in seiner Garage den 17-jährigen Austauschschüler aus Hamburg erschoss, muss sich seit Montag wegen vorsätzlicher Tötung vor dem Bezirksgericht von Missoula verantworten. Anders als in Ferguson, wo es nach den Schüssen eines Polizisten auf den unbewaffneten Michael Brown nicht einmal zur Anklage kam, sollen in Montana zwölf Geschworene entscheiden, ob der Schütze sich auf Notwehr berufen kann.

Diren Dede war in der Nacht zum 27. April mit einem anderen Austauschschüler in seinem Wohnviertel in der Universitätsstadt unterwegs gewesen. Sie hatten Langeweile, und Diren habe in der halb offen stehenden Garage nach etwas zu trinken gesucht, sagte sein Freund der Polizei. Mit dem Klauen von Bier, auch als Garage-Hopping bekannt, vertreiben sich manche Teenager in Missoula die Zeit.

Der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt Andrew Paul fragte am Montag die potenziellen Geschworenen, ob auch bei ihnen schon eingebrochen worden sei. Fast ein Dutzend berichtete von Diebstählen und geknackten Autos. Viele sagten, sie hätten die Polizei gerufen oder das Ganze als dummen Streich abgetan.

K. dagegen war nach zwei früheren Einbrüchen wütend. Er drohte laut Zeugen beim Frisör, er werde die Kids erschießen, die ihn bestohlen hätten. Als der Bewegungsmelder in seiner Garage auslöste, packte er seine Schrotflinte und feuerte vier Schüsse ins Dunkle. Einer davon verletzte Diren tödlich am Kopf.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Schützen vor, er habe die Garage absichtlich halb offen stehen lassen und eine Handtasche als Köder ausgelegt. Ein paar Wochen zuvor waren ihm Wertsachen und Marihuana gestohlen worden. Zwei andere Jugendliche haben diese Tat inzwischen gestanden.

In Montana und vielen anderen US-Bundesstaaten mit „Stand your Ground“-Gesetzen dürfen die Bürger tödliche Gewalt gegen vermeintliche Angreifer anwenden. Sie müssen einem Konflikt nicht ausweichen oder die Polizei rufen. Allerdings muss nachvollziehbar sein, dass sie um Leib und Leben fürchten mussten – ein dehnbarer Begriff. K. drohen bei einer Verurteilung mindestens zehn Jahre Haft.

Im Gerichtssaal verfolgen die Eltern des Toten, Celal und Gülcin Dede, die Befragung

Bezirksrichter Ed McLean mahnte die zur Auswahl geladenen Jurymitglieder zur Unparteilichkeit. „Wir erwarten, dass Sie alle Informationen, die Sie bisher gehört haben, ignorieren“, sagte er in Anspielung auf die breite Berichterstattung in den Lokalmedien. Die Verteidigung hatte vergeblich versucht, eine Verlegung des Verfahrens zu erreichen, mit dem Argument, die Bevölkerung im liberalen Missoula sei gegen den Angeklagten voreingenommen.

Im Gerichtssaal verfolgten Direns Eltern Celal und Gülcin Dede die Befragung des Jury-Pools. Gülcin Dede trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „Du wirst immer in unseren Herzen weiterleben“.

Der Ausgang des auf drei Wochen angesetzten Verfahrens ist völlig offen. In dem Viertel, in dem Diren erschossen wurde, sind K. und seine Familie heute nach den Worten des Anwalts weitgehend isoliert. K. verlor kurz nach der Tat seinen Job als Feuerwehrmann beim Forstdienst. Dass er wegen Körperverletzung vorbestraft ist, dürfte erst nach einem Schuldspruch bei der Festsetzung des Strafmaßes in Betracht gezogen werden.