Bunt, anarcho, androgyn

QUEERE BILDER Der Filmkurator und Filmemacher Wieland Speck feierte kürzlich seinen 60. Geburtstag. Das Arsenal-Kino gratuliert mit einer Werkschau und einem Panorama queerer Filmgeschichte

„Ästhetik ist ohne politische Implikation langweiliges Zeittotschlagen“

WIELAND SPECK

VON CORNELIS HÄHNEL

„Christian ist ein Einzelgänger, doch in Olli Sabel hat er seine große Liebe und einen treuen Partner gefunden. Mit ihm hat er den Bund fürs Leben geschlossen, gegen alle Widerstände. Doch nach einem Ausrutscher mit dem Hausmädchen Jessica quält ihn wieder die Frage nach seiner Identität als Mann.“ So klingt schwules Leben im Kosmos der ARD-Daily „Verbotene Liebe“. Christian Mann ist nur eine von vielen homosexuellen Figuren, die allabendlich die deutsche Medienlandschaft bevölkern. Queeres Leben hat einen Platz im Konsens-TV gefunden, wenn auch meist als Pastiche einer heterosexuellen Norm. Fairerweise muss man sagen, dass in diesen Formaten auch die Heten nicht demografisch repräsentativ sind. Frei nach Rosa von Praunheim heißt dies: Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Serie, in der er spielt.

Seit 40 Jahren setzt sich Wieland Speck für Rechte von Homosexuellen ein und bemüht sich zugleich um deren Bild in der Gesellschaft. 1972 zog er von Freiburg, wo das schwule Leben von klandestin-kommerzieller Subkultur und defensiver 68er-Politik geprägt war, nach Berlin. Bunt, anarcho und androgyn, so schloss sich der junge Wieland der Homosexuellen Aktion Westberlin an. Er wurde Mitglied im Männerrat und trat für die Emanzipation des Mannes ein, um das Problem des Geschlechter-Dualismus zu lösen und dadurch eine neue schwule Identität zu erreichen.

Neben den Männern galt seine Liebe dem Film. Er fing mit der Schauspielerei an, übernahm für Jahre das Programm im Off-Kino Tali (dem heutigen Moviemento) und begann, eigene Videodokumentationen zu drehen. Als die dffb ihn ablehnte, ging er 1979 kurzerhand nach San Francisco und studierte bei George Kuchar Film.

Für Speck war Film immer ein Werkzeug der Gerechtigkeit. Die eigenen Erfahrungen eins zu eins weitergeben, um es anderen in der gleichen Situation leichter zu machen, sich von den heterosexuellen Erwartungen von Familie und Freunden zu befreien. „Diesem Personenkreis der Integrität zuliebe zu erklären, dass man nicht nur nicht der ist, für den er einen bisher gehalten hat, sondern schlimmer noch, dass man etwas ist, was Ablehnung und gar Abscheu erregen wird, ist tatsächlich viel verlangt von einem Individuum in der Pubertät“, sagt Wieland Speck.

Und so sind seine Filme ein Kaleidoskop schwuler Identität. In „David, Montgomery und ich“ (1980) verzweifelt ein junger Mann mit beinahe pathologischer Überreiztheit an seiner Sehnsucht nach Körperlichkeit, am Ende des Films lamentiert ein Elvis-Verschnitt schnodderig auf der Bühne eines Nachtlokals: „Will I get my cock sucked, will I get my ass fucked?“ Das Bildervideo „Bei uns zu Haus“ verbindet die architektonische Oberfläche West-Berlins, Polaroids und unverkrampften Sex beim schwulen Kaffeekränzchen, während Gisela Uhlen aus dem TV lächelt. Und wenn in „Das Geräusch rascher Erlösung“ (1983) die Affinität für die Hypermaskulinität des Militärs mit Telefonsex kontrastiert wird, verwischen Selbstwahrnehmung und Zuschreibungen.

Der Spielfilm „Westler“ (1985) erzählt von der Beziehung zwischen einem Ost- und einem Westberliner. Da Speck keine offizielle Drehgenehmigung hatte, wurde teilweise mit versteckter Kamera in Ostberlin gefilmt. Ein Film, der präzise zeigt, wie sich politische, gesellschaftliche und private Umstände unauflöslich miteinander verbinden.

1982 machte Manfred Salzgeber, der das Panorama der Berlinale leitete, Wieland Speck zu seinem Assistenten. Vor allem die schwul-lesbische Filmkunst stand hier im Fokus und sollte einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Das Panorama wurde schnell zur zentralen Anlaufstelle der internationalen Szene. 1987 wurde dann erstmals der Teddy vergeben – an einen völlig unbekannten Regisseur namens Pedro Almodóvar.

Seit 1992 leitet Wieland Speck nun das Panorama, lange gelingt ihm der Spagat zwischen dem Drehen und dem Sichten von Filmen – bis 2000 das Kuratieren Oberhand gewinnt. Doch auch das ist eine Möglichkeit, politische Kommentare zu setzen: „Das Aussortierte wieder einzusortieren, macht anarchistischen Spaß. Ästhetik ist ohne politische Implikation langweiliges Zeittotschlagen. Politik ohne ästhetische Ausarbeitung fast genauso. Film ist hervorragend dazu geeignet, scheinbare Widersprüche dieser Art im allgemeinen Bewusstsein in Bewegung zu halten.“ Somit prägt Speck nicht nur das Profil des Panoramas, sondern auch das queere (Selbst-)bild im Film. Irgendjemand muss ja all den Christian Manns entgegenwirken.

■ „Wieland Specks bewegte und unbewegte Bilder“: ab heute im Arsenal-Kino. Programm unter www.arsenal-berlin.de