Keine Unterschrift unter AKW-Projekt

Das Projekt eines baltisch-polnischen Gemeinschaftsreaktors kommt ins Trudeln. Die polnische Regierung lässt den Unterschriftstermin in letzter Minute platzen und will so offenbar mehr Einfluss bekommen

STOCKHOLM taz ■ Eigentlich hätte am vergangenen Freitag in Litauens Hauptstadt Vilnius ein Regierungsabkommen über den Bau eines neuen Atomreaktors unterzeichnet werden sollen. Doch die Ministerpräsidenten aus den drei baltischen Staaten mussten unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren. Dem Vierten im Bunde, Polens Ministerpräsident Jarosław Kaczyński, waren nämlich die 400 Kilometer von Warschau nach Vilnius plötzlich zu weit. Wegen „dringender einheimischer Termine“ ließ er das seit langem geplante Treffen in letzter Minute platzen.

Zwar versuchte man sowohl in Vilnius als auch in Warschau das vorläufige Scheitern herunterzuspielen. Der polnische Wirtschaftsminister Piotr Woźniak versicherte, Polen sei weiterhin an dem Projekt interessiert, und ein neuer Besuchstermin Kaczyńskis in Litauen wurde für den 30. Juli angekündigt. Doch ob es dann zu den Unterschriften kommen wird, ist offen. Zwar steht die Realisierung eines AKW-Neubaus in Litauen sowieso noch in den Sternen, weil es bislang noch keine Finanziers gibt, doch Polen hat klargemacht, dass man jedenfalls mehr Einfluss haben will und dass man mit der bisherigen Stellung als 22-prozentiger Minderheitseigentümer an einem künftigen baltisch-polnischen Atomkraftwerk absolut nicht zufrieden ist.

Litauen, das nur EU-Mitglied werden konnte mit dem Versprechen, spätestens im übernächsten Jahr auch den zweiten Reaktor seines aus Sowjetzeiten stammenden AKW Ignalina vom Typ Tschernobyl zu schließen, ist seit Jahren die treibende Kraft hinter AKW-Neubauplänen. Ursprünglich war bereits ein Baubeginn für das Jahr 2006 angekündigt worden, jetzt wird 2009 ins Auge gefasst. Mit einem Mehrheitsbeschluss hatte das Parlament in Vilnius Ende Juni auch die gesetzliche Grundlage für einen solchen Bau geschaffen. Da Litauen mit seinen 3,4 Millionen EinwohnerInnen das auf 4 Milliarden Euro geschätzte Projekt aber finanziell nicht allein stemmen kann, war ein gesamtbaltischer Reaktor ins Gespräch gekommen. Später war Polen dazugestoßen und versprach mit dem Bau einer neuen Starkstromtrasse die wegen eines späteren Stromexports wirtschaftlich interessante Anbindung des Reaktors an das mitteleuropäische Verbundsystem.

Doch seither gibt es ein Gerangel um den Einfluss der vier beteiligten Staaten an einem künftigen Konsortium. Litauen beansprucht als Reaktorstandort mindestens ein Drittel. Doch Warschau ist mit einer Drittelung der verbleibenden zwei Drittel nicht zufrieden und möchte ein größeres Stück am Kuchen haben, als Lettland und Estland bekommen. Längerfristig scheint trotzdem eine politische Einigung zumindest eines Teils der jetzigen Partner auf einen Reaktorneubau wahrscheinlich. Zumal Stromkonzerne wie Eon und Vattenfall bereits ihr Interesse an einer finanziellen Beteiligung signalisiert haben.

REINHARD WOLFF

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