nebensachen aus wien
: Das alte Wiener Wirtshaus lebt

In unmittelbarer Umgebung der Wiener taz-Redaktion (meines Arbeitszimmers) gibt es drei echte alte Wirtshäuser – Lokale, deren Ambiente nicht künstlich zu erzeugen ist. Der Geruch von Bier, Wein, Gulasch und menschlichen Ausdünstungen, der sich in die hölzerne Wandverkleidung – die Lamperien – hineingefressen hat, kann nicht nachgeahmt werden. Sie haben sowohl das Wirtshaussterben in den 1960er- und 70er-Jahren als auch die Renaissance des Wirtshauses weitgehend unverändert überlebt.

Getränke werden zu moderaten Preisen ausgeschenkt und die wenigen Gerichte sind ebenso bodenständig wie wohlschmeckend. Ein Gulasch mit Semmel ist für vier Euro zu bekommen und das Viertel Schankwein für zwei Euro. Wie vor hundert Jahren ist das Wirtshaus ein Lokal, wo sich Menschen aller Generationen und sozialen Schichten zusammenfinden – nicht unbedingt an einem Tisch, aber in einem Raum. Für besonders distinguierte Gäste gibt es immer noch das Extrazimmer.

Vor 30 Jahren galt das Wirtshaus als bedrohte Spezies. Ausländische Restaurants – vom Balkan-Grill bis Running Sushi – und Fastfood-Ketten machten sich breit, Resopalplatten verdrängten die groben Holztische. Bevor der letzte Wirt in Pension ging, erhob sich eine Bewegung zur Rettung des Wirtshauses. Vor allem bürgerliche Politiker und Medien machten sich für den Erhalt eines Kulturguts stark, dessen Untergang auch einen Identitätsverlust bedeutet hätte. Bald sprangen auch die in Wien regierenden Sozialdemokraten auf den Zug auf, die Alternativszene schuf eine eigene neue Beislkultur. „Wirtshaus“ und „Beisl“, einst abwertende Begriffe für Lokalitäten niedrigen Niveaus, erfuhren eine Aufwertung. Heute erfreut sich Wien wieder einer lebendigen Beislkultur.

Eine Ausstellung im Wien-Museum versucht Geschichte und Tradition des Wiener Wirtshauses nachzuzeichnen und herauszuarbeiten, wodurch sich ein solches von einer italienischen Trattoria oder einem französischen Bistro unterscheidet. Zu den unverwechselbaren Merkmalen gehören Schanktisch und Kühlwand, Wandverkleidung, die schwarze Schiefertafel mit dem Tagesmenü und der Wirt – im Idealfall ein mürrisches Original.

Das Wirtshaus, so Museumsdirektor Wolfgang Kos, habe sich dem Kitsch, der sich um Wiener Institutionen wie das Kaffeehaus rankt, weitgehend entzogen. Es sei bisher kein Thema gewesen. Und das Museum konnte für die Schau auch kaum auf eigene Bestände zurückgreifen. Vielmehr lebt die Ausstellung von privaten Leihgaben. Viele Exponate wirken zwar antiquiert, doch sind ähnliche Gegenstände noch immer in vielen Lokalen anzutreffen. So beweist die Schau, dass das Wirtshaus nicht ins Museum gehört, weil es lebt.RALF LEONHARD

„Im Wirtshaus. Eine Geschichte der Wiener Geselligkeit“. Wien Museum, Dienstag bis Sonntag, 9 bis 18 Uhr, bis 23. September. www.wienmuseum.at