Schülerhilfe mit langem Atem

Die Stadt Hamburg richtet zu Ferienbeginn ein Zeugnissorgentelefon ein – bei dem aber kaum jemand anruft. Denn: Hilfe brauchen Schulkinder das ganze Jahr hindurch, sagen die Mitarbeiter der Schulberatungsstelle „Rebus“

RENATE THEUNISSEN, 55, ist Psychologin und Leiterin der Rebus-Stelle. KARIN GOTTWALD, 54, ist Sozialpädagogin und BERND SCHMIDT, 52, ist Sonderschullehrer. Die Regionale Beratungs- und Unterstützungsstelle (Rebus) Barmbek-Winterhude ist eine von insgesamt 15 Rebus-Einrichtungen in Hamburg. Ihr Sorgentelefon ist erreichbar unter ☎ 040 / 42 84 96 78. Beraten wird auch per E-Mail: schueler-zeugnisdienst@bbs.hamburg.de.

INTERVIEW KARIN CHRISTMANN

taz: Der Ferienbeginn ist für Kinder ein Grund zur Freude. Aber es gibt auch Zeugnisse. Wer ruft bei Ihrem Zeugnissorgentelefon an?

Renate Theunißen: Wenige Schüler, aber viele Mütter. Sie haben Sorgen um die Karriere ihrer Kinder und um drohende Arbeitslosigkeit.

Karin Gottwald: Ich erinnere mich kaum an aufregende Anrufe: Psychische Not von Schülern habe ich am Zeugnissorgentelefon noch nicht erlebt. Wenn Eltern das Zeugnissorgentelefon anrufen, dann ist das ein Resultat von fehlender Kommunikation zwischen Schule und Eltern während des Schuljahrs. Am Zeugnis werden Probleme sichtbar, die es schon lange gegeben hat – und die werden nicht dadurch gelöst, dass es einen solchen einmaligen Termin gibt.

Bernd Schmidt: Das Zeugnissorgentelefon ist ein typisches Mittel von Politikern: Mit einfachen Mitteln, die nichts kosten, wollen sie in der Öffentlichkeit gut dastehen.

Wie viele Schüler wenden sich denn mit ihren Problemen an das Zeugnistelefon?

Theunißen: Die Anzahl der Anrufe ist über die Jahre relativ konstant bei ungefähr 140. Die Hälfte sind in der Regel Mütter, ein knappes Viertel Väter. Nur rund zehn Prozent der Anrufer sind Schüler.

Wie viele Schüler betreuen Sie während eines Schuljahres?

Theunißen: Fünf Prozent der Schülerschaft laufen in irgendeiner Form bei uns auf.

Und mit welchen Problemen kommen diese Schüler zur Rebus?

Theunißen: Wir haben immer mit Krisen zu tun, seien es Leistungs-, Verhaltens- oder Kommunikationskrisen. Wir arbeiten mit den so genannten Absentisten: Das sind Kinder, die gar nicht mehr zur Schule gehen. Und wir helfen auch Kindern, die in der Schule gemobbt werden. Wir schulen die Beratungslehrer und stehen an den Schulen für Konfliktmoderation bereit. Wir kümmern uns um Kinder mit besonderen Begabungen oder mit Teilleistungsschwächen wie Legasthenie. Außerdem hat die Anzahl der psychisch kranken Kinder, die zu uns kommen, dramatisch zugenommen.

Schmidt: Es gibt an Hauptschulen einzelne Klassen, in denen ein Drittel der Schüler für uns schwere Fälle sind.

Theunißen: Wir dürfen ziemlich viele schräge Sachen machen. Wir sind eine unabhängige Einrichtung und können die bestehenden pädagogischen Freiräume in den Gesetzen nutzen – und wir haben die richtigen Kontakte.

Erzählen Sie doch einmal anhand eines konkreten Beispiels, wie Sie Schülern helfen können.

Schmidt: Ich hatte gerade den Fall eines Achtklässlers, der von einer Gruppe seiner Klassenkameraden geärgert, drangsaliert und geschlagen wurde. Ein Teil unserer Arbeit war es, einzelne Schüler aus der Klasse rauszuziehen und eine Normenverdeutlichung zu unternehmen.

Stoßen Sie da auf offene Ohren?

Schmidt: Die Schüler sind schon sehr beeindruckt, wenn jemand von der Schulbehörde kommt und ihnen klar macht, dass ihr Verhalten nicht in Ordnung ist und Folgen haben wird. Auf der anderen Seite bin ich in die Klasse gegangen um dort gemeinsam mit den Schülern Einfluss auf das soziale Verhalten zu nehmen. Die Schüler konnten erfahren, wie sie sich gegenseitig wahrnehmen.

Wie schätzen Sie denn den Erfolg dieser Arbeit ein?

Gottwald: Was heißt schon Erfolg? Unsere Arbeit lebt auch davon, dass wir die Maßstäbe nicht zu hoch ansetzen.

Theunißen: Ich definiere es als Erfolg, wenn Kinder wieder in Bildungszusammenhängen stehen. Ich finde uns da effektiv, aber ich kann es nicht in Zahlen messen.

Schmidt: Wir müssen manchmal einen sehr langen Atmen haben. „Rebus“ wurde im Jahr 2000 gegründet – bei einigen Schülern, die wir seit dem ersten Tag kennen, sehen wir jetzt Erfolge.

Haben Sie das Gefühl, dass in den letzten Jahren der Druck auf Schüler gewachsen ist?

Theunißen: Insbesondere am Gymnasium, ja. Es wird stromlinienförmiger und wer eine andere Art des Lernens braucht, kommt nicht mehr mit.

Schmidt: Uns fehlen vor allem auch Unterstützungssysteme an den Schulen. Eine Beratungslehrkraft kann nicht in fünf Wochenstunden die Probleme einer ganzen Schule in den Griff bekommen.