Von der Kritik zur Phobie

POPULISMUS Warum auf die Taten eines Islamisten anders reagiert wird als auf die eines Islamhassers. Erklärungen nach Norwegen

VON DENIZ YÜCEL

Die Einigkeit war schnell erzielt: „Die permanenten Gefühle der Ohnmacht und Scham, mit denen die Marginalisierten leben, lassen auch den Einzelnen zum Gewalttäter werden“, kommentierte der Freitag. Und der deutsch-türkische Schriftsteller Feridun Zaimoglu verurteilte die Tat als „barbarischen Akt“. Die Rede ist nicht vom Massenmord in Norwegen – es handelt sich um die Reaktionen auf den Mord am niederländischen Regisseur Theo van Gogh im November 2004.

So vehement, wie seinerzeit Mohammed Bouyeri zu einem Einzeltäter erklärt wurde, so vehement wird diese Behauptung bei Anders Behring Breivik abgelehnt. Vielmehr hätten der niederländische Politiker Geert Wilders, der norwegische Blogger „Fjordman“ und, besonders in Deutschland, Henryk M. Broder, außerdem Blogs wie „Gates of Vienna“ oder „Politically Incorrect“ (PI) den „geistigen Nährboden“ bereitet.

Auf der anderen Seite: Nicht nur Broder lehnt einen Bezug zwischen bürgerlicher und rechtsradikaler Islamkritik ab. Auch der Satiriker und Autor Bernd Zeller schreibt in dem Blog „Achse des Guten“: „Die Tat kann nicht als extreme Konsequenz islamkritischer Texte angesehen werden.“

Es gibt aber auch Selbstkritik. Von Ole Jørgen Anfindsen etwa, dem Betreiber des norwegischen Webforums honestthinking.org. Er habe „durchaus Verständnis für Leute, die uns vorwerfen, eine Art Infrastruktur für extreme Personen“ zur Verfügung gestellt zu haben. Selbst der unter dem Pseudonym „Frank Furter“ schreibende maßgebliche PI-Autor meint: „Wir müssen uns im Ton mäßigen!“

Die Kritik am Islam ist weder Produkt von 9/11 noch Erfindung der westlichen Welt. Der türkische Autor Turan Dursun etwa, der sich vom Mufti im zentralanatolischen Sivas zum atheistischen Humanisten entwickelte, ehe er von Kriegern Allahs im September 1990 in Istanbul hingerichtet wurde, war zu einer Zeit Islamkritiker, als es weder diese Wortschöpfung noch das Internet gab. Die im Westen nach 9/11 einsetzende Islamkritik wurde vornehmlich von liberalen Intellektuellen formuliert, darunter vielen, die sich einst der Linken zugerechnet hatten: die italienische Journalistin Oriana Fallaci, die niederländisch-somalische Politikerin Ayaan Hirsi Ali, oder auch Henryk M. Broder. Eine deutsche Besonderheit war, dass sich die „antideutsche“ Strömung der radikalen Linken, die sich zu Beginn der neunziger Jahre gebildet hatte, größtenteils einer leidenschaftlichen Islamkritik verschrieb.

Hinzu kamen Islamkritiker aus dem (rechts)konservativen Spektrum – in Deutschland etwa der frühere FAZ-Redakteur und Buchautor Udo Ulfkotte – sowie Rassisten alter Schule wie Jean-Marie Le Pen in Frankreich, welche ihr Credo „Ausländer raus“ durch „Moslems raus“ ersetzten und ihren Antisemitismus zurückstellten, weil sie in Israel einen Bündnispartner im Kampf gegen den Islam sahen. Zumindest in Deutschland verschliefen die alten Neonazis übrigens diese Entwicklung: Die NPD entdeckte nach 9/11 in Dschihadisten einen Verbündeten im Kampf gegen die USA und den „Zionismus“ und versucht erst in den letzten Jahren, auf der antiislamischen Welle mitzusegeln.

Der Unterschied zwischen diesen Formen der Islamkritik bestand weniger darin, ob man sich auf den Islamismus beschränkte oder den Islam in seiner Gesamtheit der Kritik unterzog. Der wesentlichere Unterschied war der, von welchem Standpunkt aus diese Kritik erfolgte: unter Bezug auf republikanische, liberale Werte oder aus einer generellen Ablehnung der Einwanderung aus muslimischen Ländern, die mehr und mehr mit der Chiffre „christliches Abendland“ verteidigt wurde. Dass diese Übergänge fließend sind, beweist der Blog „Politically Incorect“, der mit täglich rund 60.000 Besuchern zu den meistgeklickten deutschsprachigen politischen Blogs zählt. Nach eigenem Selbstverständnis „nicht fremdenfeindlich, sondern islamkritisch“, ist in den vergangenen Jahren eine Radikalisierung festzustellen. Kommentare wie „Musels raus, Moscheen nieder!“ sind keine Seltenheit. Ebenso führte die Rede vom „linken Gutmenschentum und der Political Correctness“ geradewegs zur Unterstützung von rechtspopulistischen Organisationen wie „Pro Köln“ oder „Die Freiheit“. Was die Autoren von PI anbetrifft, wird diese Entwicklung an dem Blogger „Kewil“ deutlich. Wo man früher über die Schwulenfeindlichkeit in islamischen Ländern schrieb, darf sich nun der homophobe „Kewil“ auslassen: „Welches Kind will, dass Papi und Mami beide Männer sind?“

Mit Aufklärung und Liberalismus hat das in der Tat nichts zu tun, mit rechtsextremen Ressentiments um so mehr.