ortstermin
: Im Sprachlabyrinth

In der Reihe „Ortstermin“ besuchen AutorInnen der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms

In der Aula des Hamburger Gymnasiums Christianeum steht ein Unternehmer im Ruhestand auf der Bühne. Er ist beinahe 70 Jahre alt und sagt Zungenbrecher auf – und die Schüler bejubeln Georg Winter und klatschen frenetischen Beifall. „Macumba, Lumumba, die Combo kann Samba“ und ähnliche Verse bringt Winter in rasender Geschwindigkeit über die Lippen.

Die Schüler, die ihn bejubeln, treten bei der ersten norddeutschen Sprechsport-Meisterschaft gegeneinander an. Sie wurde am Mittwoch im Christianeum ausgetragen. Es sind Viert- bis Neuntklässler aus den fünf nördlichen Bundesländern, die sich, nach Klassenstufen getrennt, im Aufsagen von Zungenbrechern messen.

Die vier Jungen, die die Klasse 5 b der Rostocker Christopherusschule vertreten, machen sich als erste auf den Weg in den Probenraum. Sie haben vier Minuten Zeit, um den Ping-Pong-Zungenbrecher zu lernen: „Wenn beim Bangkoker Ping-Pong-Pokal die Bangkoker auf ihrer Bank hocken…“ Julian spricht den Text wieder und wieder, starrt konzentriert auf sein Blatt und läuft in dem engen Kabuff unruhig auf und ab. „… und bange gucken, wie die Pekinger Ping-Pong-Profis die Bangkoker von der Platte pauken, dann kochen die Bangkoker.“ Nach der letzten der sechs Zeilen schnauft er kurz und fängt direkt wieder vorne an. Am Ende muss ihn seine Lehrerin stoppen, damit er vor seinem Auftritt wenigstens noch einmal in Ruhe Luft holt und einen Schluck Wasser trinkt.

Am Vormittag kämpfen die Viert- bis Sechstklässler um die Meisterschaft, am Nachmittag sind dann die Großen dran. Die Sprechsportler verhaspeln und verlispeln sich. Dann „pocken“ die Bangkoker auf ihrer Bank und die Vorfahren fahren lieber mit dem „Pford“ als mit dem Pferd. Aber einige schaffen es auch in Windeseile durch die Zungenbrecher und umschiffen elegant alle Hindernisse, die sich entlang der wild wallenden und wunderbar wuchernden Wortketten auftuen.

Unter den Schülern ist tatsächlich das Sprechsport-Fieber ausgebrochen: „Der war mega“, freut sich die zwölfjährige Theresa in allerbester Sprachmanier über einen besonders guten Reim. Eine gegnerische Mannschaft hat ihn in der Königsdisziplin, dem Vervollständigen von Zungenbrechern, erdacht. Den Sprechsport weiter trainieren, ihre Zungenbrecher immer schneller aufsagen, das wollen alle – im Club, in der Schule, zu Hause, überhaupt.

Sprechsport, das ist das gezielte Training von ausdrucksstarker, korrekter Aussprache. Heute sind es vor allem die Zungenbrecher, die die Schüler alleine oder in der Gruppe, möglichst schnell oder möglichst ausdrucksstark aufsagen. „Endlich dürfen wir mal schnell sprechen“, sagt Theresa. „Sonst sagen die Lehrer immer, dass wir langsam sprechen sollen.“

Für Georg Winter ist Sprechsport der „Breitensport der Zukunft“. Im September 2006 wurde er mit seinen Künsten „Wetten dass...“-Wettkönig. Das Christianeum soll jetzt das Epizentrum einer Sprechsportwelle sein, die Deutschland überflutet. „Da ist auch viel Wunschdenken dabei“, sagt Rainer Rudloff, einer der Juroren. Winter lässt sich von solcherlei Pessimismus aber nicht beeindrucken. „Zechsport? Lieber Sprechsport!“ bekräftigen Plakate an der Wand seine untadeligen pädagogischen Absichten. In zwanzig Jahren, verspricht er den Schülern, werde der Sprechsport so bekannt sein wie Fußball – und sie, die Teilnehmer der ersten norddeutschen Meisterschaft, würden ihren Kindern von den Pioniertagen erzählen können.

Der einzige, der die Stimmung im Saal noch mehr anheizt als Sprechsport-Übervater Winter, ist der Hamburger Rapper Samy Deluxe. Der tritt bei der Preisverleihung am Nachmittag mit einer Rap-Combo aus Fünftklässlern auf, die unter seinen Fittichen stehen. Sie sind Teil eines so genannten Integrationsprojektes und haben deshalb einen Deutschlandrap geschrieben und einstudiert. Auf der Bühne rappen sie über alles, was sie an Deutschland mögen: die Berge, die Fußball-Nationalmannschaft, den HSV. Mangelnde Kunstfertigkeit machen sie durch Enthusiasmus wett, und als Refrain singen sie dann aus der Nationalhymne: „Blüh’ im Glanze dieses Glückes, blühe deutsches Vaterland – chakka chakka chakka – Blüh’ im Glanze...“. Das Publikum tobt, und gegen Samys Solo-Rap kommt nicht einmal Winter mit seinem Macumba-Zungenbrecher an. KARIN CHRISTMANN